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Kenia: Folter im Nordosten soll verfolgt werden

Brutale Übergriffe in Mandera unterstreichen Notwendigkeit einer Polizeireform

(Nairobi, 29. Juni 2009) – Kenianische Sicherheitskräfte haben bei einer Entwaffnungsaktion in mehreren Dörfern im Bezirk Mandera im Oktober 2008 Hunderte Zivilisten geschlagen und gefoltert, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Human Rights Watch ruft die kenianische Regierung auf, unverzüglich eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle durchzuführen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Der 51-seitige Bericht „‘Bring the Gun or You’ll Die’: Torture, Rape, and Other Serious Human Rights Violations by Kenyan Security Forces in the Mandera Triangle“ dokumentiert zahlreiche Misshandlungen während der Operation und zeichnet die Ereignisse in den zehn betroffenen Gemeinden anhand detaillierter Zeugenaussagen und Beweise nach. Human Rights Watch sammelte in allen zehn Gemeinden Beweismaterial, welches belegt, dass die Sicherheitskräfte während des drei Tage dauernden Einsatzes unzählige Männer gefoltert, mindestens 1.200 Menschen verletzt und mindestens ein Dutzend Frauen vergewaltigt haben. Einer der Verwundeten erlag später seinen Verletzungen. Laut Human Rights Watch folgt dieses Vorgehen dem Muster systematischer Menschenrechtsverletzungen durch die kenianischen Sicherheitskräfte.

„Statt die Bewohner Manderas zu schützen, prügelten und folterten Armee und Polizei systematisch“, so Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch. „Solange dieses Verhalten der Sicherheitskräfte andauert und die Verantwortlichen, allen voran die Befehlshaber, nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt das Gerede der Regierung über eine Polizeireform bedeutungslos.“

Die gemeinsam von Armee und Polizei durchgeführte Operation, bei der angeblich regionale Milizen entwaffnet werden sollten, dauerte vom 25. bis 28. Oktober 2008 und umfasste Städte und Dörfer in den Bezirken Ost- und Zentral-Mandera. Dem Einsatz gingen blutige Zusammenstöße zwischen dem Garre- und dem Murulle-Klan voraus, bei denen im Juli und August 21 Menschen getötet worden waren.

Im Februar 2009 besuchten Mitarbeiter von Human Rights Watch fünf der betroffenen Städte und nahmen die Aussagen von über 90 Opfern auf. Die Befragten berichteten übereinstimmend, die Sicherheitskräfte seien am frühen Morgen in die Stadt gekommen, hätten alle Männer, die sie finden konnten, aus ihren Häusern geholt und stundenlang brutal geschlagen, um Informationen über den Verbleib der Milizen und ihrer Waffen von ihnen zu erpressen.

Einige Einsatzkräfte gingen von Haus zu Haus und suchten nach Schusswaffen. In mehreren Gemeinden arteten die Durchsuchungen in Plünderungen aus. In zwei Ortschaften berichteten Frauen, Mitglieder der Sicherheitskräfte hätten sie vergewaltigt, während ihre Ehemänner verprügelt wurden und sie alleine in ihren Häusern waren.

In zahlreichen Fällen waren die Schläge so heftig und lang andauernd, dass sie Folter gleichkamen. Hunderte Männer mussten stundenlang auf dem Boden liegen und wurden mit Gewehrkolben, Stöcken und Metallstäben geschlagen. Die Einsatzkräfte folterten einige Männer, indem sie ihre Hoden verdrehten, quetschten oder aufrissen. In mehreren Fällen hinterließen diese Misshandlungen bleibende Schäden.

In einigen Ortschaften konnten die Dorfältesten die Befehlshaber zum Abbruch der Operation bewegen, indem sie ihnen versprachen, Waffen zu finden und abzugeben. Die an die kenianischen Sicherheitskräfte ausgehändigten Waffen wurden jedoch nicht nur Anwohnern und örtlichen Milizen abgenommen. Teilweise sammelten die Dorfbewohner auch Geld, kauften damit Waffen bei somalischen Händlern und übergaben diese unmittelbar an die Polizei.

In der Woche nach der Operation behandelte das kenianische Rote Kreuz mehr als 1.200 Zivilisten, die angaben, von den Sicherheitskräften verletzt worden zu sein. Hunderte Männer kamen zur Behandlung in das Krankenhaus in El Wak, einer der am schwersten von den Übergriffen betroffenen Städte. Auch die Krankenhäuser in Wargadud, Lafey und anderen Städten behandelten Dutzende Opfer mit Knochenbrüchen, verstümmelten Genitalien, Atembeschwerden und Beschwerden beim Urinieren. Die meisten der von Human Rights Watch befragten Vergewaltigungsopfer flohen aufs Land und suchten keine ärztliche Behandlung. Nur eine Frau, die in Lebensgefahr schwebte, wurde vom kenianischen Roten Kreuz nach Nairobi geflogen.

In drei Gemeinden berichteten Augenzeugen, dass führende Funktionäre sowie Polizei- und Armeekommandeure bei den Misshandlungen und Folterungen anwesend waren, den Einsatz überwachten und Befehle erteilten.

„Hier geht es nicht um ein paar schwarze Schafe, die Befehle missachtet haben“, so Roth. „Hinter dieser Operation steht die von führenden Amtsträgern ausgegebene Strategie, mit äußerster Brutalität gegen kenianische Bürger vorzugehen.“

Der Einsatz in Mandera ist nicht die erste gemeinsame Polizei- und Militäroperation, bei der mit Gewalt gegen Zivilisten vorgegangen wurde. Während einer Operation gegen Aufständische in Mount Elgon nahmen Polizei und Armee im März 2008 über 4.000 Menschen willkürlich fest und folterten Hunderte systematisch – 100 Männer werden immer noch vermisst. Ähnliche Anschuldigungen wurden im Zusammenhang mit Aktionen gegen Viehdiebe in Kuria im Februar und in Samburu im März 2009 erhoben.

Die Geschichte der kenianischen Polizei ist in den vergangenen Jahrzehnten geprägt von Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen. Die zur Untersuchung der Gewalt nach den umstrittenen Wahlen im Dezember 2007 eingesetzte Waki-Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Polizei für den Tod von 405 Menschen – darunter 50 Demonstranten in Kishmu, denen größtenteils in den Rücken geschossen wurde – verantwortlich war, weil sie scharfe Munition gegen Demonstranten und Randalierer eingesetzt hatte.

Philip Alston, der UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche, standrechtliche oder willkürliche Hinrichtungen, besuchte Kenia im Februar und stellte fest, dass die Polizei „häufig und ohne strafrechtliche Verfolgung tötet“. Beide Berichte enthalten umfangreiche Empfehlungen, wie man Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei ahnden und das Polizeiwesen reformieren könnte, etwa durch die Ablösung des Polizeichefs und des Generalstaatsanwalts. Der Sonderberichterstatter forderte ebenfalls die Entlassung des Polizeichefs und des Generalstaatsanwalts, weil sie das Klima der Straflosigkeit geschaffen hätten, die diese schweren Menschenrechtsverletzungen ermöglichten.

Im Mai kündigte Präsident Mwai Kibaki an, eine nationale Arbeitsgruppe einzusetzen, um die Polizeireform zu beschleunigen. Im Juni räumte die kenianische Regierung vor dem UN-Menschenrechtsrat die Notwendigkeit solcher Reformen ein. Human Rights Watch appelliert an Präsident Kibaki, die Empfehlungen der Waki-Kommission und des UN-Sonderberichterstatters umgehend umzusetzen und die Befehlshaber in Polizei und Armee, die für die schweren Menschenrechtsverletzungen in Mandera, Mount Elgon und anderswo verantwortlich sind, strafrechtlich zu verfolgen.

„Die kenianische Regierung muss ihren Sicherheitskräften unmissverständlich klar machen, dass sie für Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt werden“, so Roth. „Ein erster Schritt wäre die Durchführung einer unabhängigen Untersuchung des brutalen Vorgehens in Mandera und anderswo sowie die Entlassung des Polizeichefs und des Generalanstaatsanwalts.“

Aussagen aus dem Bericht:

„Um ca. 5.30 Uhr morgens sah ich, wie etwa 20 Polizisten die Straße hinunterliefen und Menschen [in Gruppen] mit Schlägen vor sich her trieben. Sie gingen in jedes Haus, zerrten Menschen heraus, schlugen sie und schrien: ‘Geh zum Platz!’ … Vor der Polizeiwache mussten wir uns auf den Boden legen. Sie schlugen uns mit Stöcken, rungus [Knüppeln], allem Möglichen. Sie schlugen uns und sagten nichts außer: ‘Bring die Waffe oder du stirbst.’”

-Opfer aus El Wak

„In dem Lager zwangen sie uns, uns auf den Rücken zu legen. Dann zielten sie mit einem Stock auf meine Hoden. Er schlug er mich mit einem Stock zusammen, den er mit beiden Händen festhielt.“

-Folteropfer aus El Wak

„Einer von ihnen drückte meinen Kopf auf den Boden und der andere begann, mich zu vergewaltigen. ... Ich wurde bewusstlos, weil ich schwanger war. Als ich aufwachte, sah ich, dass ich durch die Vergewaltigung verletzt worden war. Ich rannte zu dem Gebüsch, wo unser Vieh war, fand dort fünf meiner Kinder und nahm sie mit. Nach drei Tagen fand ich meine restlichen Kinder im Busch. Ich kam sechs Wochen später nach Elele zurück, um mein Baby zur Welt zu bringen. Ich war nicht beim Arzt oder im Krankenhaus.“

-Frau in Elele, die vergewaltigt wurde, während die Sicherheitskräfte die Männer des Dorfes festnahmen

„Kenia hat etwas getan, das niemand dulden kann. Sie sollten ihre Truppen dorthin schicken, wo die Verbrecher sind. Doch anstatt die Verbrecher zu töten, versuchen sie, die Bürger umzubringen. Der Polizeichef und der Provinzhauptmann waren hier.“

-alter Mann, der aus seinem Haus in El Wak gezerrt und gefoltert wurde

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