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Argentinien: Frauen Zugang zu Gesundheitsversorgung garantieren

Mangelhafte Umsetzung von Gesetzen und fehlende Aufsicht im Gesundheitswesen führen zu Leid und Todesopfern

(Buenos Aires, 10. August 2010) -Tausende Frauen und Mädchen müssen in Argentinien jedes Jahr wegen Versäumnissen und Missbrauch bei der reproduktiven Gesundheitsversorgung unnötig leiden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 53-seitige Bericht „Illusions of Care: Lack of Accountability for Reproductive Rights in Argentina" dokumentiert, welchen Hindernissen Frauen und Mädchen gegenüberstehen, wenn sie ihren gesetzlichen Anspruch auf reproduktive Gesundheitsversorgung, etwa Verhütungsmittel, freiwillige Sterilisierungen sowie Abtreibung nach Vergewaltigung, wahrnehmen wollen. Zu den häufigsten Erschwernissen gehören lange Wartezeiten, unnötige Überweisungen an andere Kliniken, finanzielle Hürden, die rechtswidrige Praxis, eine Einverständniserklärung des Ehegatten zu verlangen, und in manchen Fällen die Weigerung, eine Patientin zu behandeln.

„Frauen brauchen ihr ganzes Leben lang eine verlässliche Gesundheitsversorgung", so Jose Miguel Vivanco, Direktor der Lateinamerika-Abteilung von Human Rights Watch. „Doch in Argentinien ist es eher ein Lotteriespiel: Wer Glück hat, wird angemessen versorgt, viel wahrscheinlicher ist jedoch eine mangelhafte oder sogar missbräuchliche Behandlung."

Die Erschwernisse beim Zugang zu den medizinischen Leistungen führen dazu, dass viele Frauen und Mädchen in Argentinien Entscheidungen, die Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben, nicht frei treffen können und es zu vielen ungewollten oder die Gesundheit der Mutter gefährdenden Schwangerschaften kommt. Vierzig Prozent der Schwangerschaften werden in Argentinien durch - oft gefährliche - Abtreibungen abgebrochen. Gesundheitsgefährdende Abtreibungen liefern seit Jahrzehnten den größten Beitrag zur Müttersterblichkeit in Argentinien.

Der Bericht identifiziert die fehlende Verantwortlichkeit für die Umsetzung geltender Gesetze sowie die mangelhafte Aufsicht im Gesundheitswesen als wichtigste Ursachen dafür, dass Frauen immer wieder keine angemessene Behandlung erhalten. Wenn Ärzte und andere Angestellte im Gesundheitswesen Frauen gesetzlich garantierte Leistungen verweigern oder diese an willkürlich aufgestellte Bedingungen knüpfen, müssen sie nur in den seltensten Fällen mit Ermittlungen oder Strafen rechnen.

„Die argentinischen Gesetze zur reproduktiven Gesundheit sind nicht perfekt. Würde man sie jedoch wenigstens anwenden, könnte man einen großen Teil des Leids, das ich bei den Recherchen zu diesem Bericht gesehen habe, verhindern", so Vivanco. „Die Regierung muss größere Anstrengungen unternehmen, damit die geltenden Gesetze angewendet und Verstöße bestraft werden."

Der Human Rights Watch-Bericht kritisiert, dass die Gesetze zur reproduktiven Gesundheit wichtige Gruppen, etwa Frauen und Mädchen mit Behinderungen, nicht berücksichtigen. Seit der Ratifizierung der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterliegt die argentinische Regierung auf diesem Gebiet spezifischen internationalen Verpflichtungen, die sie zurzeit jedoch nicht erfüllt.

„Frauen und Mädchen mit Behinderungen stehen nicht nur vor denselben Hindernissen wie Frauen ohne Behinderung, sondern darüber hinaus auch vor vielen weiteren Hürden", so Vivanco. „Neben praktischen Gesichtspunkten wie der Barrierefreiheit in Krankenhäusern oder der Übersetzung wichtiger Information in Brailleschrift oder Gebärdensprache muss man sich mit den Auswirkungen von Vorurteilen befassen. Viele Ärzte glauben schlichtweg nicht, dass Frauen mit Seh- oder Hörbehinderungen Sexualkontakte haben oder in der Lage sind, sich an den Gebrauch von Verhütungsmitteln zu erinnern."

In der jüngeren Vergangenheit hat die argentinische Regierung Maßnahmen eingeleitet, um einige der in dem Bericht aufgezeigten Probleme zu beheben. Einige Gesetzesänderungen wurden jedoch später wieder zurückgenommen. Im Mai eröffnete das Gesundheitsministerium eine kostenlose Telefonberatung, die Frauen über reproduktive Gesundheitsversorgung informiert und Beschwerden aufnimmt. Im Juli erklärte das Ministerium, es beabsichtige Frauen und Mädchen, deren Gesundheit durch ihre Schwangerschaft gefährdet wird, sowie Vergewaltigungsopfern den Zugang zu Abtreibungen zu ermöglichen. Schon am Tag darauf zog die Regierung diese Ankündigung jedoch zurück und bemerkte, sie beabsichtige nicht, den Zugang zu Abtreibungen zu garantieren.

„Die argentinische Regierung scheint allmählich zu verstehen, dass Gesetze zur reproduktiven Gesundheit keine Bedeutung haben, solange sie nicht angewendet werden", so Vivanco. „Solange es keine dauerhaften und eindeutigen Veränderungen gibt, werden weiterhin viele Frauen leiden und manche sogar sterben."

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