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EU: Schutz und Rettung von Migranten verbessern

Menschenrechte müssen Grundlage sein, wenn der EU-Gipfel über Bootsmigration und Syrien-Flüchtlinge berät

(Brüssel) – Die Staats- und Regierungschefs der Europäische Union sollen bei ihrem Treffen in Brüssel am 24. und 25. Oktober 2013 dringend Maßnahmen verabschieden, um die Rettung schiffbrüchiger Migranten und Asylsuchender auf ihrem Weg nach Europa zu verbessern, so Human Rights Watch heute. Der Gipfel soll auch weitere Schritte zusichern, die den Zugang und Rechtsschutz für Flüchtlinge aus Syrien verbessern, da auch diese zunehmend den lebensgefährlichen Seeweg wählen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs vereinbarten, auf dem bereits länger geplanten Gipfel auch über die Bootsmigration im Mittelmeer zu sprechen, nachdem bei einem Bootsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa am 3. Oktober mehr als 360 vorwiegend eriträische und somalische Bootsmigranten gestorben waren. Gut eine Woche später, am 11. Oktober, sank ein weiteres Boot in der Straße von Sizilien. Mindestens 36 Leichen wurden geborgen, 206 Syrer und Palästinenser konnten gerettet werden.

„Die EU-Spitzen sollen über Beileidsbekundungen hinausgehen und sich zu konkreten Maßnahmen verpflichten, um weitere Todesfälle von Migranten auf hoher See zu verhindern“, so Judith Sunderland, stellv. Direktorin für Westeuropa bei Human Rights Watch. „Die neuen Vorschläge für eine verstärkte Überwachung des Mittelmeers müssen ihren Fokus auf die Rettung von Menschenleben richten, nicht darauf, jedes Eindringen in die EU zu verhindern.“

Die Europäische Kommission bildete nach der Tragödie am 3. Oktober eine Taskforce zur Untersuchung der Bootsmigration. Das Europäische Parlament wird voraussichtlich am 24. Oktober eine Resolution zu dem Thema verabschieden.

Obwohl sie mit Blick auf die Rettung von Menschenleben formuliert wurden, machen viele der vorgeschlagenen strategischen Antworten deutlich, wie sehr die EU damit beschäftigt ist, Migranten bereits an der Abreise zu hindern und ihre Einreise zu verhindern. An diesen Reaktionen treten seit langem bestehende Streitigkeiten unter den EU-Mittelmeeranrainern hervor. Dabei geht es um die Verantwortlichkeit für die Rettungsoperationen, die Entscheidung, wo gerettete Schiffbrüchige an Land gehen dürfen, und die Abwicklung von Migranten und Asylsuchenden.

Verbesserte Maßnahmen zur Seenotrettung müssen Hand in Hand mit der Achtung anderer grundlegender Menschenrechte gehen, etwa dem Recht Asyl zu beantragen und Schutz vor Folter und Misshandlung zu suchen. Insbesondere sollen die EU-Staats- und Regierungschefs folgende Schritte in Erwägung ziehen:

  • Sie sollen dafür sorgen, dass bei der verstärkten Überwachung des Mittelmeers, auch durch das neue EUROSUR-System, der Schwerpunkt stets auf die Seenotrettung gesetzt wird.
  • Die Umstände, unter denen ein Boot als in Seenot geraten eingestuft wird, sollen breiter definiert werden.
  • Die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen für die EU-Grenzschutzagentur Frontex sollen ergänzt werden, damit gewährleistet ist, dass aufgegriffene oder gerettete Migranten in den nächsten Anlaufhafen in einem EU-Land gebracht werden.
  • Die EU soll verbindliche Regeln einführen, um Streitigkeiten über den Ort der Ladnung der Schiffe zu verhindern und um zu gewährleisten, dass Migranten schnellstmöglich zu einem sicheren Anlaufhafen gebracht werden.
  • Regelungen, die private Bootseigner davon abhalten, Schiffbrüchige zu retten, sollen begrenzt werden, damit sichergestellt ist, dass den Geretteten erlaubt wird, an Land zu gehen. Die abschreckende Möglichkeit einer Strafverfolgung wegen Beihilfe zu irregulärer Einwanderung soll abgeschafft werden.
  • Die EU-Staats- und Regierungschefs sollen die Einhaltung aller EU-Gesetze und Menschenrechtsnormen gegen refoulement garantieren – also die Abschiebung in ein Land, in dem Folter und Verfolgung drohen. Zudem dürfen Migranten nicht in Staaten abgeschoben werden, die über kein funktionierendes Asylsystem oder keine anderen wirksamen Schutzmechanismen gegen refoulement verfügen und in denen deshalb eine Kettenabschiebung in Länder droht, in denen Folter und Verfolgung verbreitet sind.

Die EU soll zudem langfristigere Maßnahmen ergreifen, um dem Problem der „gefährlichen Migration“ entgegenzutreten, etwa durch die Entwicklung geregelter legaler Einreisemechanismen für Asylsuchende. Grundlage der Migrationskooperation mit Herkunfts- und Transitstaaten soll die Achtung der Menschenrechte sein, insbesondere das Recht jedes Land ungehindert zu verlassen, das Recht Asyl zu beantragen, der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, der Schutz vor Misshandlung und das Recht auf Leben.

Der EU-Gipfel bietet auch eine Gelegenheit, sich zu einem besseren Schutz der Flüchtlinge aus Syrien zu verpflichten. Die steigende Zahl von Asylsuchenden aus Syrien, die die gefährliche Einreise auf dem Seeweg wählen, hat in diesem Jahr zu einem Anstieg der Ankünfte auf dem Seeweg geführt. Zu den Opfern der Bootsunglücke gehörten neben Eriträern, Somalis und anderen auch Syrer und Palästinenser aus Syrien. Deshalb empfiehlt Human Rights Watch der EU folgende Schritte:

  • Die EU soll für eine schnelle, umfassende und faire Prüfung der Asylanträge von Flüchtlingen aus Syrien sorgen, ungeachtet des Ersteinreiselandes in der EU.
  • Alle Abschiebungen nach Syrien sollen beendet werden, solange es dort bewaffnete Konflikte gibt. Auch Abschiebungen in Transitländer, die keinen wirksamen Schutz bieten, sollen gestoppt werden.
  • Die Zusicherungen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syriens Nachbarländern sollen erhöht werden, um dem von dem UN-Flüchlingshilfwerks UNHCR festgestellten Bedarf zu decken.
  • Die EU soll angemessene Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung stellen.
  • Inhaftierungen sollen vermieden werden und nur als letztes Mittel erfolgen. Dabei soll die Haftdauer stets auf ein Mindestmaß reduziert werden. Unbegleitete Kinder und Familien mit Kindern dürfen nicht inhaftiert werden. Sie müssen sichere Aufnahmeeinrichtungen erhalten.
  • Die EU soll Möglichkeiten prüfen, wie Menschen, die aus Syrien geflohen sind und Schutz suchen, legal in die EU einreisen können. Dazu gehört etwa die Annahme von Asylanträgen durch die Botschaften der EU-Mitgliedstaaten, die Lockerung der Voraussetzungen für Transitvisa und die Erleichterung von Familienzusammenführungen.

„Die EU hat sehr viel Geld bereitgestellt, um Syriens Nachbarländer, die Flüchtlinge des Konflikts aufnehmen, zu unterstützen. Die EU-Staaten zeigten sich jedoch weniger großzügig, wenn es darum ging, ihnen hier in Europa Zuflucht zu bieten“, so Sunderland. „In einem verzweifelten Versuch in Sicherheit zu gelangen, wählen viele Syrer den Seeweg. Die EU soll deshalb weitaus mehr tun, damit Syrer und Palästinenser aus Syrien den notwendigen Schutz erhalten.“

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