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Die Altstadt von Vilnius wurde für den Gipfel der "Östlichen Partnerschaft" extra groß mit Flaggen und Symbolen der Europäischen Union geschmückt. Doch das eigentliche Geschehen spielt sich weitab der litauischen Hauptstadt ab. Seit Wochen schon konzentriert sich die Aufmerksamkeit der internationalen Medien auf die Ukraine, eines der sechs Länder neben Georgien, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien und Weißrussland, die an der Partnerschaft mit der EU teilnehmen, um die politische und wirtschaftliche Integration voranzutreiben. Angesichts des Taktierens in Kiew und des Verhaltens der EU und Russlands titelten einige Medien bereits, der Kalte Krieg sei zurück.

Seit die Regierung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch entschieden hat, die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis zu legen, kommt es in der Ukraine zu Protesten. Dies unterstreicht, dass die diskutierten Themen, etwa Verbesserungen bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, auch gewöhnlichen Bürgern wichtig sind.

Auf dem Vilnius-Gipfel werden viele Hände geschüttelt werden. Die Abkommen, die hier zur Unterzeichnung anstehen, könnten echte Fortschritte bei Menschenrechtsproblemen bringen, wenn sie mit politischen Reformen verbunden sind. Viel wichtiger ist jedoch, dass die EU auf die Zeit nach dem Gipfel blickt und ihn als Wegbereiter für engere Beziehungen zu einigen der sechs Partnerländer sieht.

Die EU verfolgte bei der Östlichen Partnerschaft von Anfang an den Ansatz, dass die Geschwindigkeit, mit der ein Land demokratische Reformen und die Verpflichtung zu gemeinsamen Werten mit der EU vorantreibt, bestimmt, wie intensiv die EU kooperiert. Die konsequente Einforderung von Standards ist zentraler Bestandteil des Angebots, das die EU ihren östlichen Partnern macht. Sie signalisiert der Zivilgesellschaft in dem betreffenden Staat zudem, dass das Engagement der EU weit über die Vereinbarungen des Gipfels hinausgeht.

Die EU sollte die politischen Konsequenzen von Kiews Entscheidung zur Aussetzung der Assoziierungsverhandlungen genau beobachten. Kurzfristig bedeutet dies, dass die Behörden friedliche Proteste erlauben und jeden unnötigen Gewalteinsatz vermeiden müssen. Auf lange Sicht bleiben nicht nur jene Themen wichtig, welche die Verhandlungen mit Kiew bisher prägten – etwa der selektive Einsatz der Justiz. Vielmehr sollte die EU die Zeit nach dem Vilnius-Gipfel nutzen, um die ukrainischen Behörden auch mit anderen drängenden Menschenrechtsfragen zu konfrontieren. Dazu zählt die Einschränkung der Medienfreiheit, die Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern, die mangelhaften Gesetze zur Palliativmedizin und die schweren Missstände im ukrainischen Asylsystem.

Sowohl Weißrussland als auch Aserbaidschan haben eine miserable Menschenrechtsbilanz. Die EU hat gut daran getan, ihre Beziehungen mit Weißrussland nicht nennenswert zu vertiefen. Gegenüber Aserbaidschan konnte die EU ihre Politik des "Mehr für Mehr", also mehr Integration für mehr Reformen, nicht auf die Probe stellen. Die Regierung in Baku lieferte auf dem Gebiet der Menschenrechte kaum Fortschritte und zog sich vielmehr von den Verhandlungen zurück. Dennoch sollten die Menschenrechtsprobleme in beiden Staaten nicht vom Radar der EU verschwinden oder zugunsten energiepolitischer oder geopolitischer Interessen beiseitegeschoben werden.

Armenien hat sich mit dem Beitritt zu einer von Russland geförderten Zollunion vorerst gegen die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens entschieden. Menschenrechtsverletzungen wie Polizeimissbrauch und Gewalt gegen friedliche Demonstranten dauern an. Angesichts der Kehrtwende der Regierung benötigt die Zivilgesellschaft Unterstützung.

In Georgien steht die EU vor anderen Problemen. Das Land hat beeindruckende Fortschritte erzielt, wie die friedliche Machtübergabe im letzten Monat deutlich machte. Dennoch sollte die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens diese Woche auch den Beginn eines neuen, nicht weniger gründlichen Dialogs markieren. Worum es geht? Schnellere und transparentere Ermittlungen gegen Folter und Misshandlungen im Polizeigewahrsam, Maßnahmen gegen selektive Justiz und die Beendigung der Diskriminierung von beispielsweise Homosexuellen.

Die EU-Staatschefs sollten erkennen, dass im Rahmen der Östlichen Partnerschaft bereits vieles erreicht wurde und es fatal wäre, die Standards zu senken, um Regierungen zurückzugewinnen, die sich von Europa abwenden. Ein prinzipientreues und konsequentes Eintreten für Demokratie und Menschenrechte ist der beste Garant für weitere Fortschritte.

Hugh Williamson ist Direktor der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch.

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