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(Berlin) – Menschenhändler haben im Osten Sudans und auf der ägyptischen Halbinsel Sinai Flüchtlinge, die vorwiegend aus Eritrea stammten, entführt, gefoltert und getötet. Dies haben Dutzende befragte Opfer berichtet, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Ägypten und Sudan haben die Verantwortlichen bislang weder identifiziert noch zur Rechenschaft gezogen. Dazu zählen die Menschenhändler selbst, jedoch auch jene Sicherheitsbeamte, die mit den Menschenhändlern zusammenarbeiten und somit gegen die Verpflichtung beider Länder verstoßen, Folter zu verhindern. 

Der 79-seitige Bericht „‘I Wanted to Lie Down and Die:’ Trafficking and Torture of Eritreans in Sudan and Egypt” dokumentiert, wie seit 2010 Eritreer von ägyptischen Menschenhändlern gegen Lösegeld auf der Sinai-Halbinsel festgehalten wurden. Die Opfer wurden gefoltert, vergewaltigt, verbrannt und verstümmelt.  Der Bericht dokumentiert weiterhin Folter durch Menschenhändler im Osten Sudans. Auch sind 29 Fälle dokumentiert, bei denen nach Angaben von Opfern, mit denen Human Rights Watch gesprochen hat, sudanesische und ägyptische Sicherheitskräfte Menschenhändler unterstützt haben, anstatt sie zu verhaften und die Opfer zu befreien. Ägyptische Beamte leugnen, dass es auf dem Sinai zu Entführungen kommt. Somit machen sie den Sinai zu einem idealen Ort für Menschenhandel.

„Seit Jahren leugnen ägyptische Beamte, dass es vor ihrer Nase auf dem Sinai zur grauenvollen Misshandlung von Flüchtlingen kommt”, so Gerry Simpson, Flüchtlingsexperte von Human Rights Watch und Autor des Berichts. „Ägypten und Sudan müssen den Folterungen und Erpressungen von Eritreern, zu denen es in ihren Ländern kommt, ein Ende setzen. Menschenhändler und Sicherheitsbeamte, die sie unterstützen, müssen verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden.” 

Englischsprachiges Video zum Bericht:

Seit Juni 2013 haben die ägyptischen Behörden die Sicherheitsaktivitäten auf dem Sinai verstärkt. Sie reagierten damit auf die Anschläge und Angriffe auf Polizisten und Militärs durch Gruppen auf dem Sinai. Sicherheitsbeamte sollen dafür sorgen, dass die verschärften Maßnahmen auch dafür genutzt werden, Menschenhändler ausfindig zu machen und sie zur Rechenschaft zu ziehen.

Grundlage des Berichts sind 37 Interviews, die Human Rights Watch mit Eritreern geführt hat; 22 weitere Interviews wurden von einer Nichtregierungsorganisation in Ägypten geführt. In den Gesprächen berichteten die Betroffenen, über Wochen oder sogar Monate hinweg misshandelt worden zu sein. Diese Misshandlungen fanden in Kassala im Osten Sudans und in der Nähe von Arish, einer Stadt im Nordosten des Sinai, nahe der israelischen Grenze, statt. Human Rights Watch sprach auch mit zwei Menschenhändlern, von denen einer zugab, Dutzende Menschen gefoltert zu haben. Der Bericht bezieht sich auch auf Interviews von anderen Nichtregierungsorganisationen, die nicht von Ägypten aus arbeiten und die mit Hunderten Folteropfern gesprochen haben. Zudem wurden auch Stellungnahmen des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) verwendet, die sich auf Gespräche mit Hunderten Opfern beziehen.

Die Opfer berichteten, von ägyptischen Menschenhändlern gefoltert worden zu sein, um bis zu 40.000 US-Dollar von ihren Angehörigen zu erpressen. Alle Zeugen, mit denen Human Rights Watch gesprochen hat, berichteten, dass sie Folter beobachtet haben oder selbst misshandelt wurden. Nach diesen Angaben wurden etwa sowohl Frauen als auch Männer vergewaltigt und mit Elektroschocks gequält. Den Opfern wurden die Genitalien und andere Körperteile mit glühenden Eisen, kochendem Wasser, geschmolzenem Plastik und Gummi sowie mit Zigaretten verbrannt. Sie wurden mit Eisenstangen oder Stöcken geschlagen und an Raumdecken aufgehängt. Die Menschenhändler drohten den Opfern, sie umzubringen. Auch langer Schlafentzug gehörte zu den Foltermethoden. 17 Opfer sagten, sie hätten gesehen, wie andere durch Folter gestorben seien. 

Angehörige, die die Opfer über ihre Mobiltelefone hatten schreien hören, sammelten und überwiesen die hohen Summen Lösegeld, welche die Entführer gefordert hatten.  

Seit 2004 sind mehr als 200.000 Menschen aus Eritrea vor Elend und Unterdrückung in Lager an der Grenze im Osten Sudans und in Äthiopien geflüchtet. Hierbei mussten sie den eritreischen Grenzwachen entgehen, die den Befehl haben, auf jeden Menschen zu schießen, der ohne Erlaubnis die Grenze überqueren will. In den Lagern und deren Umgebung gibt es keine Möglichkeit für die Flüchtlinge, Arbeit zu finden. Bis 2010 haben Zehntausende von ihnen Schleuser bezahlt, die sie durch den Sinai nach Israel bringen sollten.

2011 hat Israel große Teile eines 240 km langen Grenzzauns fertiggestellt. Dieser verläuft an der Grenze zum Sinai und soll Flüchtlinge von dem Land fernhalten.Seitdem haben Menschenhändler weiter Eritreer im Osten Sudans entführt und sie an Menschenhändler im Sinai weiterverkauft. Alle Eritreer, mit denen Human Rights Watch 2012 Interviews auf dem Sinai führte, berichteten, gegen ihren Willen von Menschenhändlern aus dem Sudan nach Ägypten gebracht worden zu sein.

Human Rights Watch wurden neue Berichte erhalten, nach denen es auch jüngst zwischen November 2013 und Januar 2014 zu Verschleppungen aus dem Osten Sudans auf den Sinai kam.

Eritreer berichteten Human Rights Watch, dass sie von sudanesischen Polizisten in der entlegenen Stadt Kassala im Osten des Landes, unweit des ältesten Flüchtlingslagers in Afrika, nahe der Grenze abgefangen, festgenommen und, teilweise auf dem Polizeirevier selbst, an Menschenhändler übergeben worden waren.

Einige Opfer gaben ebenfalls an, gesehen zu haben, wie ägyptische Sicherheitskräfte  mit Menschenhändlern gemeinsame Sache machten, so etwa an Checkpoints zwischen der sudanesischen Grenze und dem Suezkanal, am stark bewachten Kanal selbst oder an den Kontrollpunkten der einzigen Fahrzeugbrücke, die über den Kanal führt. Auch wurde von solchen Machenschaften in Häusern von Menschenhändlern sowie an Kontrollpunkten in Städten auf dem Sinai und jenen nahe der israelischen Grenze berichtet.

Obwohl der Menschenhandel und die Schwere der Misshandlungen der Opfer allgemein bekannt sind, haben hochrangige ägyptische Beamte immer wieder bestritten, dass Menschenhandel in Sinai existiert. Die wenigen, die mögliche Misshandlungen einräumen, behaupten, es gebe nicht genügend Beweise, um zu ermitteln.

Seit Dezember 2013 laufen Ermittlungen gegen einen in Kairo ansässigen Komplizen eines Menschenhändlers vom Sinai, so ein Anwalt, der Opfer von Menschenhandel vertritt. Laut internationalen Organisationen, die die Fälle von Menschenhandel im Sudan verfolgen, wurden in 14 Fällen von Menschenhandel mit Eritreern im Osten Sudans strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Bis Ende 2013 wurde im Sudan gegen vier Polizeibeamte im Zusammenhang mit Menschenhandel und Folter ermittelt. In Ägypten gab es im gleichen Zeitraum nicht einen einzigen Fall von Ermittlungen gegen Sicherheitsbeamte.  

In beiden Ländern wird somit nicht ausreichend gegen Menschenhändler ermittelt, die ihre Opfer schwer misshandeln. Auch werden die angeblichen Fälle, in denen Sicherheitskräfte mit Menschenhändlern gemeinsame Sache machen, nicht ordnungsgemäß untersucht, obwohl die betroffenen Sicherheitsbeamte damit gegen die UN-Antifolterkonvention verstoßen wie auch gegen internationale Menschenrechtsstandards, und in Ägypten auch gegen nationale und internationale Gesetze zur Bekämpfung von Menschenhandel.

Ägypten soll die verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte auf dem Sinai dazu nutzen, Menschenhändler, besonders nahe der Stadt Arish, zu fassen. Auch müssen die Fälle, in denen Sicherheitsbeamte mit Menschenhändlern am Suezkanal und auf dem Sinai zusammenarbeiten, untersucht und aufgeklärt werden. Sudan soll in Fällen derartiger Machenschaften in und um Kassala, auch auf Polizeirevieren, ermitteln.

„Ägypten und Sudan geben offensichtlich korrupten Sicherheitsbeamten quasi freie Hand, um mit Menschenhändlern gemeinsame Sache zu machen”, so Simpson. „Es wird höchste Zeit, dass Ägypten und Sudan nicht mehr einfach den Kopf in den Sand stecken. Sie müssen ernsthafte, wirksame Maßnahmen ergreifen, um diesen furchtbaren Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen.“

Wenn Menschenhändler Eritreer, deren Familien ein Lösegeld bezahlt haben, freilassen, so fangen ägyptische Grenzpolizisten die Opfer häufig ab und übergeben sie der Militärstaatsanwaltschaft. Dann sitzen die Betroffenen monatelang unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen in Polizeistationen auf dem Sinai in Haft, so berichteten die Opfer. Die ägyptischen Behörden verweigern den Opfern Rechte, die ihnen nach dem 2010 in Ägypten verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung von Menschenhandel zustehen. Laut diesem Gesetz haben Opfer von Menschenhandel Recht auf Unterstützung, Schutz und Straffreiheit.

Stattdessen werden sie von den Behörden wegen Verstoß gegen das Einwanderungsgesetz belangt. Ihnen wird die dringend notwendige medizinische Versorgung verweigert ebenso wie der Zugang zum Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der sich in Ägypten mit Flüchtlingsangelegenheiten befasst. Ägyptische Behörden haben wiederholt behauptet, dass es sich bei allen Eritreern, die auf dem Sinai festgenommen wurden, um illegale Einwanderer, und nicht um Flüchtlinge, handle.Die Behörden ignorierten somit die Tatsache, dass seit Mitte 2011 die Mehrzahl der Opfer von Menschenhandel auf dem Sinai gegen ihren Willen aus dem Sudan nach Ägypten gebracht wurde.  

Ägyptische Behörden lassen inhaftierte Eritreer erst dann frei, wenn diese genug Geld für einen Flug nach Äthiopien aufbringen können. Dort finden sich dann viele von ihnen erneut in jenen Flüchtlingslagern nahe der eritreischen Grenze wieder, in denen sie ursprünglich als Flüchtlinge aufgenommen worden waren. 

Diejenigen, die Ägypten finanziell unterstützen, so etwa die Vereinigten Staaten sowie die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, sollen die ägyptischen und die sudanesischen Behörden dazu drängen, gegen Menschenhändler zu ermitteln und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Auch soll auf die Untersuchung jener Fälle, bei denen Sicherheitsbeamte und Menschenhändler gemeinsame Sache machen, bestanden werden.

„Für die Menschen, die Menschenhändlern zum Opfer gefallen sind und von ihnen misshandelt wurden, ist es bereits zu spät”, so Simpson. „Die internationale Gemeinschaft soll jedoch verhindern, dass Hunderte weitere Eritreer Menschenhändlern in die Hände fallen. Auch muss die internationale Gemeinschaft darauf bestehen, dass die bereits begangenen Verbrechen nicht ungestraft bleiben.”

Detaillierte Auszüge aus vier Interviews, die Human Rights Watch mit Eritreern führte, die von Misshandlungen und von Machenschaften zwischen Menschenhändlern und Polizei berichteten, finden Sie unten.

Ausgewählte Aussagen aus den Interviews mit eritreische Flüchtlingen:

„Sie hingen mich an meinen Armen und kopfüber an meinen Fußgelenken auf. Sie schlugen mich und peitschten meinen Rücken und meinen Kopf mit einer Gummipeitsche. Mit Gummischläuchen schlugen sie auf meine Fußsohlen. Sie gossen Wasser über meine Wunden und schlugen dann auf sie ein. Manchmal versetzten sie mir Stromschläge, verbrannten mich mit glühenden Eisen und ließen geschmolzenes Gummi und Plastik auf meinen Rücken und meine Arme laufen. Sie drohten, meine Finger mit einer Schere abzuschneiden. Manchmal kamen sie herein und brachten die Frauen aus dem Raum. Dann hörte ich die Frauen schreien. Als die Frauen zurückkamen, weinten sie. Während dieser acht Monate habe ich miterlebt, wie sechs andere durch Folter starben.

Human Rights Watch-Interview mit einem 17-jährigen Jungen aus Eritrea, der im August 2011 im Osten Sudans entführt und dann an Menschenhändler auf dem Sinai übergeben wurde. Diese misshandelten ihn acht Monate lang, bis seine Verwandten ein Lösegeld von 13.000 US-Dollar zahlten.
 

„Sie schlugen mich mit einer Eisenstange. Sie ließen geschmolzenes Plastik auf meinen Rücken laufen. Sie schlugen erst auf meine Fußsohlen ein und zwangen mich dann, für eine lange Zeit zu stehen, manchmal sogar tagelang. Manchmal drohten sie mir, mich umzubringen und hielten mir eine Waffe an den Kopf. Sie hingen mich an der Decke auf, sodass meine Füße nicht den Boden berühren konnten, und sie verpassten mir Elektroschocks. Einer von uns starb, nachdem er 24 Stunden lang an der Decke gehangen hatte. Wir mussten mit ansehen, wie er starb.”

Human Rights Watch-Interview mit einem 23-jährigen Mann aus Eritrea, der im März 2012 in der Nähe des Flüchtlingslagers Shagarab im Sudan entführt und dann an ägyptische Menschenhändler im Süden Ägyptens übergeben wurde. Diese brachten ihn auf den Sinai, wo er mit 24 weiteren Männern und acht Frauen sechs Wochen lang gefangen gehalten wurde.
 

„Ich kam in Kassala [im Osten Sudans] an. Die Polizei hielt mich an und nahm mich mit aufs Revier. Die Polizisten fragten mich, ob ich Verwandte im Ausland hätte. Ich sagte nein. Am nächsten Morgen öffneten die Polizisten die Tür und neben ihnen standen zwei Männer, die mich ansahen. Ich spreche ein bisschen Arabisch und konnte so ein wenig von dem verstehen, was sie sagten. Einer der Männer fragten einen Polizisten: ‚Haben diese Männer Angehörige, von denen wir Geld bekommen können?' Der Polizist sagte ja. Am nächsten Tag brachten uns die Polizisten zu einem Auto vor dem Revier. Sie sagten, ich solle einsteigen. Dann brachten die Männer mich in die Wüste, etwa eine Autostunde entfernt.

Human Rights Watch-Interview mit einem 28-jährigen Mann aus Eritrea, der im November 2011 von der sudanesischen Polizei an Menschenhändler in Ägypten übergeben wurde, die ihn schwer misshandelten.
 

„Am Suezkanal sagte uns der Fahrer, wir sollen aus dem Bus steigen. Dann sollten wir in einem Haus warten, das etwa 150 Meter vom Kanalufer entfernt stand. Als es dunkel war, kamen ägyptische Polizisten, in blauen Uniformen, und etwas später legte ein Boot am Ufer an. Die Menschenschmuggler brachten 25 von uns auf das Boot, während die Polizei aus ca. 50 Metern Entfernung zusah. Wir überquerten den Kanal. Am anderen Ufer warteten drei Soldaten. Sie trugen beigefarbene Uniformen und kleine Handfeuerwaffen und standen neben Männern, die wie Beduinen aussahen. Die Soldaten schauten zu, als die Beduinen uns auf die Ladeflächen von zwei Lieferwagen brachten. Sie sagten uns, wir sollen uns hinlegen. Dann breiteten sie Plastikplanen über uns aus.  

Human Rights Watch-Interview mit einem 32-jährigen Mann aus dem Sudan, der über Machenschaften der ägyptischen Polizei und des Militärs mit Menschenhändlern am Suezkanal berichtete. Im April 2011 wurde er auf dem Sinai festgehalten und schwer misshandelt.

 

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