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(Warschau, 26. September 2014) – Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und andere Personen, die von der Regierung Usbekistans aus politischen Gründen ins Gefängnis gesteckt wurden, werden gefoltert und leiden unter unzumutbaren Haftbedingungen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Haftstrafen werden häufig willkürlich um Jahre verlängert. Die Menschenrechtslage in Usbekistan gehört zu den schlechtesten weltweit. Tausende Menschen wurden bereits unrechtmäßig inhaftiert, weil sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit friedlich ausgeübt haben.

Der 121-seitige Bericht „‘Until the Very End’: Politically Motivated Imprisonment in Uzbekistan” schildert verstörende Erkenntnisse über die Behandlung von 34 der bekanntesten politischen Gefangenen in Usbekistan. Zu diesen gehören zwei der weltweit am längsten inhaftierten Journalisten sowie weitere Personen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten hinter Gittern sitzen. Grundlage des Berichts sind mehr als 150 ausführliche Interviews, darunter Interviews mit zehn vor kurzem freigelassenen Gefangenen. Weiterhin basiert der Bericht auf der Analyse kürzlich erhaltener Gerichtsdokumente. Der Bericht dokumentiert ausführlich, in welcher Notlage sich viele unrechtmäßig eingesperrte Aktivisten befinden.

„Die usbekische Regierung versucht, vor der ganzen Welt zu verbergen, dass Regierungskritiker im Gefängnis sitzen und dort Menschenrechtsverletzungen erleiden“, so Steve Swerdlow, Zentralasien-Experte von Human Rights Watch. „Diese neuen Beweise bedeuten, dass Taschkent nicht länger so tun kann, als gäbe es in Usbekistan keine politisch motivierten Festnahmen.“

Usbekistan soll unverzüglich und bedingungslos alle politischen Gefangenen freilassen sowie den willkürlichen Gefängnisstrafen und den Folterungen in Gefängnissen ein Ende setzen, so Human Rights Watch.

Zu den Gefangenen, von denen Human Rights Watch berichtet, gehören einige von Usbekistans talentiertesten und herausragenden Persönlichkeiten, die etwa Fälle von Korruption aufdeckten, nach demokratischen Reformen strebten und für Innovationen in den Bereichen Kunst, Kultur, Religion oder Philosophie verantwortlich sind. Einige wurden nur eingesperrt, weil die Regierung sie als „Staatsfeinde“ betrachtete. Als Rechtfertigung für die Festnahmen benutzte die Regierung häufig weit gefasste oder nicht klar definierte Anschuldigungen wie „verfassungswidrige Aktivitäten“ oder „religiöser Extremismus“. Andere wurden auf der Grundlage fingierter Vorwürfe wie etwa Bestechung, Betrug oder Erpressung verurteilt.

Mindestens 29 der 34 derzeit Inhaftierten, deren Schicksal Human Rights Watch dokumentiert hat, machten glaubhafte Angaben über Folter und andere Misshandlung. Sie wurden mit Gummiknüppeln oder mit Wasser gefüllten Plastikflaschen geschlagen, sie wurden an den Hand- und Fußgelenken aufgehängt und mit Stromschlägen gefoltert. Ihnen wurde mit Vergewaltigung und sexueller Demütigung, Erstickungstod durch Plastiktüten oder Gasmasken und mit Entzug von Nahrung oder Wasser gedroht. Auch wurde gedroht, den Angehörigen der Gefangenen körperlichen Schaden zuzufügen.

Der Menschenrechtsaktivist Azam Farmonov, der seit 2006 im Gefängnis sitzt, gab an, die Polizei habe eine luftdichte Maske über seinen Kopf gezogen, um sein Ersticken zu simulieren, und auf seine Beine und Füße eingeschlagen, um ein falsches Geständnis von ihm zu erpressen. Weiterhin gab er an, man habe ihm in Untersuchungshaft mit gefüllten Plastikflaschen auf den Kopf geschlagen. Die usbekischen Sicherheitskräfte hätten ihm zudem angedroht, ihm Nägel in seine Zehen zu schlagen und seine Familie zu verletzen. Nach der Folter, so gab seine Frau an, habe Farmonov bei seiner Verhandlung zu ihr gesagt: „Ich werde bis zum Schluss durchhalten.”

Human Rights Watch fand heraus, dass die Behörden politische Gefangene bestrafen, indem sie regelmäßig deren Haftstrafen um Jahre verlängern. Häufig geschieht dies erst einige Tage vor ihrer eigentlichen Entlassung und aus fadenscheinigen Gründen. Die Haftstrafe von Murod Juraev, einem friedlichen Oppositionellen, der seit 1994 im Gefängnis sitzt, wurde bereits viermal verlängert, zuletzt im Jahr 2012. Als Begründung hierfür wurden Vergehen wie das „nicht ordnungsgemäße Schälen von Karotten” in der Gefängnisküche angegeben.

Der Bericht dokumentiert die Fälle von fünf Gefangenen, die vom usbekischen Geheimdienst aus anderen Länder entführt und gezwungen wurden, nach Usbekistan zurückzukehren, obwohl keine Verfahren gegen sie liefen.

Einige politischen Gefangenen sind schwer krank und sitzen seit langer Zeit in Isolationshaft oder es wird ihnen der Zugang zu gesundheitlicher und medizinischer Versorgung verweigert. Wie mit ihnen umgegangen wird, kommt einer grausamen, unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung gleich, was einen schweren Verstoß gegen Usbekistans internationale Menschenrechtsverpflichtungen darstellt.

Der Menschenrechtsaktivist Abdurasul Khudoynazarov starb 26 Tage, nachdem er im Mai aus dem Gefängnis entlassen worden war. An diesem Tag hatten Gefängnisärzte Leberkrebs im fortgeschrittenen Stadium bei ihm diagnostiziert. Vor seinem Tod berichtete Khudoynazarov verschiedenen Menschenrechtsgruppen, dass während seiner acht Jahre im Gefängnis seine Bitte um medizinische Behandlung stets abgewiesen wurde.

Mindestens 18 der im Bericht erwähnten Personen wurde der Zugang zu einem Rechtsbeistand zu einem für ihren Fall kritischen Zeitpunkt verwehrt. Acht von ihnen saßen bis zu einem Jahr lang in Isolationshaft. Seit 2009 haben sich die Behörden geweigert, Angaben zum Verbleib von Akram Yuldashev zu machen. Es ist nicht klar, ob der Religionsführer Yuldashev noch am Leben ist oder nicht. Laut internationalem Recht handelt es sich um „Verschwindenlassen“, wenn Behörden sich weigern anzuerkennen, dass sich eine Person in ihrem Gewahrsam befindet, oder keine Angaben zum Schicksal und Verbleib einer Person gemacht werden. Solche Praktiken verstoßen somit gegen internationales Recht. Fälle von „Verschwindenlassen” erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Folter oder anderen Misshandlungen, so Human Rights Watch.

„Folter, Entführungen, Einzel- und Isolationshaft sowie die Verlängerung von Haftstrafen, all das sind unsagbare Menschenrechtsverletzungen, denen niemand ausgesetzt werden darf”, so Swerdlow. „Ob sie nun für 20 Jahre oder weniger hinter Gittern sitzen, diese Menschen wurden unrechtmäßig eingesperrt und sollten nicht einen Tag länger im Gefängnis bleiben.“

Die Weigerung der usbekischen Regierung, Menschenrechtsverletzungen an politischen Gefangenen zu beenden und diese freizulassen, hat weder die Beziehungen zu Washington und Brüssel noch zu anderen europäischen Hauptstädten maßgeblich beeinflusst. Die Mehrheit sieht offensichtlich die Priorität in der wichtigen Rolle, die das Land als Durchgangsstrecke nach Afghanistan darstellt, vor allem vor dem Hintergrund des geplanten Truppenabzugs vieler westlicher Länder in diesem Jahr.

Auch drohten der Regierung Usbekistans bislang keine Konsequenzen für ihr systematisches Versagen bei der Zusammenarbeit mit dem UN-Menschenrechtsrat. In den letzten Jahren wurde elf UN-Menschenrechtsexperten die ersuchte Einreiseerlaubnis verweigert.

Die internationalen Partner Usbekistans sollen die Regierung auffordern, die Menschenrechtslage im Land dringend zu verbessern. Dazu gehört die Freilassung politischer Gefangener. Diese Länder sollten bereit sein, gezielte Sanktionen zu verhängen wie etwa Einreiseverbote, Vermögenssperren und Beschränkungen der militärischen Unterstützung jener usbekischer Regierungsorgane und –beamte, die schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben. Die Mitglieder des UN-Menschenrechtsrats sollen einen Sonderberichterstatter ernennen, der sich ausschließlich der schrecklichen Menschenrechtslage in Usbekistan widmet.

„Die USA, die EU und andere einflussreiche Regierungen wissen alles über die Situation in den Gefängnissen unter Präsident Islam Karimov und die begangenen Menschenrechtsverletzungen, um eine unabhängige Berichterstattung, die Überwachung der Menschenrechte sowie die politische und religiöse Freiheit zu unterdrücken“, so Swerdlow. „Die internationalen Partner Usbekistans müssen Präsident Karimov deutlich machen, dass er einen hohen Preis zahlen wird, sollte seine Regierung weiterhin friedliche Aktivisten, Journalisten und Anhänger religiöser Gruppen einsperren und foltern.“

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