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Asylsuchende hinter einem Metallgitter im Lager ‘Hangar 1’ in Röszke, Ungarn. 9. September 2015. © 2015 Zalmaï for Human Rights Watch

(New York) – Die gewaltige Migrationskrise lässt sich nur durch eine beispiellose globale Antwort bewältigen, so Human Rights Watch. Auf den beiden Gipfeltreffen, die am 19. und 20. September 2016 bei den Vereinten Nationen stattfinden, sollen die Staats- und Regierungschefs mutige Maßnahmen ergreifen, um sich gemeinsam ihrer Verantwortung für die Millionen von Menschen zustellen, die durch Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung vertrieben wurden.

Führende Politiker treffen in New York zusammen, um über eine Ausweitung der Hilfen an jene Länder zu beraten, in denen Flüchtlinge zuerst Schutz suchen. Viele dieser Länder befinden sich aktuell an ihrer Belastungsgrenze. Dies gefährdet das Fundament des Flüchtlingsschutzes, das Prinzip des Non-Refoulement, welches Zwangsrückführungen an Orte verbietet, an denen den Betroffenen Verfolgung oder andere schwerwiegende Gefahren drohen. Derzeit befinden sich vor allem Menschen aus Afghanistan, Burma, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea, Honduras, dem Irak, Somalia und Syrien auf der Flucht.

„Millionen Menschen leben in Not und Ungewissheit“, so Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch. „Hier geht es nicht nur um mehr Geld und größere Aufnahmekontingente, sondern auch um die Verteidigung der Rechtsprinzipien zum Flüchtlingsschutz, die mehr denn je unter Beschuss stehen.“

In diesem Jahr hat Human Rights Watch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge dokumentiert: So beschossen türkische Grenzschutzbeamte Zivilisten, die offenbar Asyl suchten, und drängten sie gewaltsam zurück; Jordanien verweigerte syrischen Asylsuchenden an seiner Grenze die Einreise bzw. Unterstützung;  Kenia kündigte an, es werde im November das weltweit größte Flüchtlingslager schließen und die dort lebenden Somalier – trotz der möglichen Gefahren – zur Rückkehr in ihre Heimat zwingen; Pakistan und der Iran schikanierten afghanische Flüchtlinge, entzogen ihnen die Registrierung und zwangen sie zur Rückkehr in ihr umkämpftes Land.

Die UN-Vollversammlung hat für den 19. September ein Gipfeltreffen einberufen, „mit dem Ziel, die Staaten für ein menschlicheres und besser koordiniertes Vorgehen [in der Flüchtlingsfrage] zusammenzubringen“. Die bereits als Entwurf vorliegende Schlusserklärung ist eine verpasste Chance, was die Ausweitung der Schutzkriterien angeht, und dämpft die Erwartungen im Hinblick auf neue konkrete Zusagen. Dennoch erkennt die Erklärung die Bedeutung der Flüchtlingsrechte an und fordert eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung. Angesichts des Ausmaßes der Flüchtlingskrise und der populistischen Gegenreaktionen in vielen Teilen der Welt sollte dieses Bekenntnis zu den Flüchtlingsrechten die Grundlage für jedes gemeinsame Handeln bilden.

Am 20. September wird US-Präsident Barack Obama den sogenannten Leader’s Summit ausrichten, der die Teilnehmer dazu bewegen soll, mehr humanitäre Hilfe, größere Aufnahmekontingente sowie einen besseren Bildungs- und Arbeitsmarktzugang zu gewährleisten. Die teilnehmenden Regierungen werden aufgefordert, konkrete Zusagen zur Verwirklichung der folgenden Ziele zu geben: Die Kontingente zum Resettlement von Flüchtlingen und für andere Formen der Aufnahme sollen verdoppelt werden; die Mittel für humanitäre Hilfe sollen um 30 Prozent erhöht werden; eine Million Flüchtlingskinder soll eine Schulbildung ermöglicht werden; und eine Million erwachsene Flüchtlinge sollen eine Arbeitserlaubnis erhalten. Obwohl die Teilnehmerliste noch nicht bekanntgegeben wurde, wird erwartet, dass etwa 30 bis 35 Staaten an dem Gipfel teilnehmen werden. Kanada, Äthiopien, Deutschland, Schweden und Jordanien werden den Gipfel gemeinsam mit den USA moderieren.

Ausweitung der humanitären Hilfe an Erstaufnahmeländer
Die überwiegende Mehrheit der 21,3 Millionen Flüchtlinge weltweit befindet sich im globalen Süden, wo sie häufig weiteres Leid sowie Diskriminierung und Vernachlässigung erfahren. Human Rights Watch appelliert an Erstaufnahmeländer wie die Türkei, den Libanon, Jordanien, Thailand, Kenia, den Iran und Pakistan, die Initiativen für einen besseren Bildungs- und Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge zu unterstützen.

Die reichsten Staaten der Welt haben bei der Unterstützung jener Länder, die im Brennpunkt der Flüchtlingskrise stehen, weitgehend versagt. Bis zum 9. September waren die Hilfsaufrufe der UN nur zu 39 Prozent finanziert. Die größten Finanzierungslücken klafften in Afrika. So standen zur Unterstützung der Flüchtlinge aus dem Südsudan nur 19 Prozent der benötigten Mittel zur Verfügung. Die Regionalpläne zur Flüchtlingshilfe im Jemen bzw. in Syrien waren nur zu 22 bzw. 49 Prozent finanziert.

Vergrößerung der Kontingente zur Neuansieldung in anderen Ländern
Die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus den Erstaufnahmeländern in anderen Ländern ist entscheidend, um diese zu entlasten und den Geflüchteten den Aufbau neuer Existenzen zu ermöglichen. Dennoch herrscht hier ein eklatanter Mangel an internationaler Solidarität. Im Jahr 2015 vermittelte die UN-Flüchtlingsagentur die Neuansiedlung von nur 81.000 der schätzungsweise 960.000 Flüchtlinge weltweit, die dauerhaft aufgenommen werden müssten.  Für 2016 schätzte die Agentur den Bedarf an Plätzen zur Neuansiedlung von Flüchtlingen auf über 1,1 Millionen; es wird jedoch von den Mitgliedstaaten nur eine Zusage über 170.000 Plätze erwartet. Bei einer hochrangigen UN-Konferenz im März verpflichteten sich die 92 teilnehmenden Staaten nur auf eine geringfügige Erhöhung der Kontingente für syrische Flüchtlinge.

Als über einer Million Migranten und Asylsuchenden Europa auf dem Seeweg erreichten und mehr als 3.700 Todesfälle auf hoher See im Jahr 2015 zu beklagen waren, wurde in der Europäischen Union immer deutlicher, dass legale und sicherer Einreisewege für Flüchtlinge, etwa durch Neuansiedlung, absolut notwendig sind. Dennoch  konzentrieren sich zahlreiche EU-Staaten, darunter Österreich, Bulgarien und Ungarn, vor allem darauf, spontane Einreisen zu verhindern, ihre Verantwortung auszulagern und die Rechte der Geflüchteten einzuschränken.

Ein im Juli 2015 verabschiedeter europäischer Plan zur dauerhaften Aufnahme von 22.500 Flüchtlingen aus anderen Regionen innerhalb von zwei Jahren führte, laut aktueller Statistiken aus dem Juli 2016, bislang nur zur Neuansiedlung von 8.268 Flüchtlingen. Die meisten EU-Staaten erfüllten ihre Zusagen nicht, zehn Länder nahmen keine einzige Person im Rahmen des Plans auf.

Abschaffung menschenrechtswidriger Systeme und verfehlter Abkommen
Im März schloss die EU ein Abkommen mit der Türkei, welches die Rückführung praktisch aller Asylsuchenden in die Türkei erlaubt – mit der zutiefst verfehlten Begründung, die Türkei biete ein sicheres Asyl. Dieses Abkommen steht nun kurz vor dem Kollaps. In Australien werden Asylsuchende, die auf Booten ankommen, in Aufnahmezentren auf Inseln vor der australischen Küste gebracht, wo es zu Vernachlässigung, unmenschlicher Behandlung und Missbrauch kommt.

Die EU und Australien sollen diese menschenrechtswidrigen Maßnahmen aufgeben. Die EU-Mitgliedstaaten sollen schnellstmöglich den vorliegenden Rahmenplan für das Resettlement von Flüchtlingen verabschieden, welcher ambitioniertere Ziele und eine klare Verpflichtung zu deren Umsetzung vorsieht. Sie sollen die Verantwortung gerecht aufteilen, wenn Asylsuchende unerwartet ankommen, und Italien und Griechenland entlasten.

Viele Regierungen untergraben das Asylrecht, indem sie Asylsuchende in geschlossenen Lagern unterbringen, wie es Kenia und Thailand der Fall ist, oder sie inhaftieren, wie es Australien, Griechenland, Italien, Mexiko und die USA praktizieren.

Die USA, die bei der Neuansiedlung von Flüchtlingen und der Umsetzung von UN-Hilfsaufrufen in vielerlei Hinsicht führend sind, zeigten sich bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge überaus träge und kleinlich. Zudem scheinen sie auf manchen Gebieten andere Maßstäbe anzulegen, etwa beim Umgang mit Kindern und Erwachsenen, die vor Bandengewalt in Mittelamerika fliehen, oder bei der Strategie, Mexiko als Pufferzone zu nutzen, damit Migranten nicht bis zur US-Grenze gelangen können.

Die US-Regierung unter Präsident Obama erreichte in diesem Fiskaljahr trotz des Widerstandes von mehr als der Hälfte der Gouverneure und der Nichtbewilligung von Finanzmitteln durch den Kongress ihr Ziel, 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Dennoch könnten die USA eine vielfach höhere Zahl an Flüchtlingen aufnehmen. Die US-Regierung soll sich verpflichten, die Ziele des Leaders’ Summit umzusetzen und ihr diesjähriges Aufnahmekontingent von 85.000 auf 170.000 zu verdoppeln.

Auch viele andere Staaten wären in der Lage, weitaus mehr Flüchtlinge aufzunehmen, etwa Brasilien, Japan und Südkorea. Doch sie taten bedauerlich wenig. Japan nahm im Jahr 2015 nur 19 Flüchtlinge auf, Südkorea nahm – abgesehen von Flüchtlingen aus Nordkorea – 42 Personen auf und Brasilien sogar nur sechs.

Russland nimmt praktisch keine Flüchtlinge auf. Die Golfstaaten reagieren nicht auf die Aufrufe der UN zur Aufnahme von Flüchtlingen, wenngleich Saudi-Arabien die Abschiebung Hunderttausender Syrer ausgesetzt hat, deren Visa abgelaufen sind. Laut einer Untersuchung von Oxfam blieben die meisten Golfstaaten mit Ausnahme Kuwaits auch bei der Finanzierung der UN-Hilfsprogramme für syrische Flüchtlinge weit hinter den Erwartungen zurück.

„Jeder Staat trägt eine moralische Verantwortung dafür, die Würde und die Rechte von Menschen, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen wurden, zu schützen“, so Roth. „Wenn über 20 Millionen Menschen auf konkrete internationale Maßnahmen warten, reichen hochtrabende Erklärungen nicht aus.“

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