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Deutschland: Bundestag sollte vorgeschlagenes Lieferkettengesetz nachbessern

Vorgeschlagene Maßnahmen entsprechen nicht internationalen Normen

Ein Junge und ein Mädchen arbeiten in einer kleinen Mine im Distrikt Amansie West, Ghana. © 2016 Juliane Kippenberg für Human Rights Watch.

(Berlin) - Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Verpflichtungen von Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte in Lieferketten regelt, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, muss aber in entscheidenden Bereichen verbessert werden, so Human Rights Watch heute. Der Bundestag sollte Unternehmen explizit dazu verpflichten, menschenrechtliche Risiken kontinuierlich und systematisch entlang der gesamten Lieferkette zu bewerten und anzugehen, nicht nur bei ihren unmittelbaren Zulieferern.

Das vorgeschlagene Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht soll Großunternehmen, die in Deutschland ansässig und tätig sind, dazu verpflichten, menschenrechtliche Risiken in ihren eigenen Betrieben und bei ihren direkten Zulieferern zu bewerten und auf solche Risiken zu reagieren. Bei Zulieferern, die weiter unten in der Lieferkette angesiedelt sind, sieht das Gesetz vor, dass Unternehmen eine „anlassbezogene“ menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchführen müssen, sobald sie „substantiierte Kenntnisse“ von potenziellen Menschenrechtsverletzungen haben. Gemäß internationaler Wirtschafts- und Menschenrechtsnormen sind Unternehmen jedoch verpflichtet, in der gesamten Lieferkette eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchzuführen.

„Es ist gut, dass die Regierung endlich ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für Unternehmen vorgeschlagen hat“, sagte Juliane Kippenberg, stellvertretende Direktorin für Kinderrechte bei Human Rights Watch. „Aber wenn dieses Gesetz die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in den globalen Lieferketten verhindern soll, müssen die Unternehmen die Risiken auch bei Zulieferern, die nicht unmittelbar für sie arbeiten, systematisch bewerten und angehen, und nicht nur in Ausnahmefällen, wenn NGOs oder die Medien Alarm schlagen.“

Menschen, die in globalen Lieferketten arbeiten, sind Opfer von schweren Arbeitsrechtsverletzungen geworden, Gemeinden haben unter den Menschenrechtsauswirkungen von Umweltschäden durch Bergbau und industrielle Landwirtschaft gelitten. Kinder sind besonders gefährdet und erleben eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten, darunter Kinderarbeit, Umweltschäden, fehlende Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen und Arbeitsrechtsverletzungen gegenüber ihren Eltern. Dennoch untersucht die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland und anderen EU-Ländern keine Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden in ihren Lieferketten und geht nicht gegen diese vor.

Am 12. Februar 2021 haben der Arbeits-, der Entwicklungshilfe- und der Wirtschaftsminister der Bundesregierung gemeinsam die Eckpunkte des Gesetzentwurfs der Öffentlichkeit vorgestellt, nachdem ein mehrjähriger Monitoring-Prozess ergeben hatte, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen in Deutschland die Menschenrechte in ihren globalen Lieferketten nicht systematisch prüft und berücksichtigt. Die beiden Regierungsparteien CDU und SPD hatten sich darauf geeinigt, ein Gesetz zu verabschieden, wenn freiwillige Maßnahmen nicht ausreichend umgesetzt werden. Trotz dieser Vereinbarung versuchte das von der CDU geführte Wirtschaftsministerium mehrere Monate lang, ein robustes Gesetz zu blockieren, was zu einem Konflikt mit dem Koalitionspartner führte.

Der jüngste Kompromissvorschlag der Regierung kommt zum letztmöglichen Zeitpunkt für die Verabschiedung des Gesetzes durch den aktuellen Bundestag, da im September Bundestagswahlen anstehen. Eine Koalition aus 124 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter Human Rights Watch, setzt sich seit 2019 für ein robustes Lieferkettengesetz ein. Auch diverse Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmen und Gemeinden machen sich für ein solches Gesetz stark.

Das von der Regierung vorgeschlagene Gesetz gilt nur für große Unternehmen, die ihren Hauptsitz, einen eingetragenen Firmensitz oder ihre Hauptniederlassung in Deutschland haben. Im ersten Jahr, 2023, würde es nur für Unternehmen gelten, die mehr als 3.000 Mitarbeiter haben. Ab 2024 soll es für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern gelten - insgesamt rund 3.600 Unternehmen.

Der Gesetzentwurf nimmt zwar auf einige wichtige internationale Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltstandards Bezug, die das Handeln eines Unternehmens leiten sollten, lässt aber viele andere wichtige internationale Standards aus, wie z. B. die UN-Kinderrechtskonvention und das Pariser Klimaabkommen. Der Gesetzentwurf verweist zwar auf Umweltnormen, aber es fehlt eine vollständig definierte ökologische Sorgfaltspflicht, auch in Bezug auf den Klimawandel.

Der Gesetzentwurf enthält zudem keine Haftungsbestimmungen für Situationen, in denen Unternehmen in schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und es versäumt haben, eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchzuführen. Er sieht auch nicht vor, dass Unternehmen in allen Phasen der Sorgfaltsprüfung die jeweiligen Interessengruppen und Betroffenen konsultieren müssen.

Positiv zu vermerken ist, dass das vorgeschlagene Gesetz von den Unternehmen verlangt, einmal im Jahr auf ihrer Website einen vollständigen Bericht zu veröffentlichen, in dem sie ihre Risikoanalyse in Bezug auf Menschenrechte, die unternommenen Schritte zur Behebung von Problemen und die Auswirkungen darlegen. Diese Berichte müssen dann sieben Jahre lang auf der Website verfügbar bleiben. Es verlangt zudem, dass Unternehmen an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle berichten.

Das Gesetz erteilt einer zuständigen nationalen Behörde das Mandat, zu prüfen, ob ein Unternehmen seinen Verpflichtungen nachkommt, von sich aus oder bei einer Beschwerde Verwaltungsmaßnahmen gegen das Unternehmen einzuleiten und seine Praktiken zu korrigieren. Es ermächtigt die Behörden, Geldstrafen gegen ein Unternehmen zu verhängen, das vorsätzlich oder fahrlässig bestimmte Verpflichtungen nicht erfüllt, und betroffene Unternehmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen. Das vorgeschlagene Gesetz ermöglicht es Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, im Namen von Opfern vor Zivilgerichten Klage einzureichen.

Es wird erwartet, dass der Gesetzentwurf im März vom Kabinett beschlossen und dann in den Bundestag eingebracht wird. Während das Gesetz gute Chancen hat, verabschiedet zu werden, da die Regierungskoalition eine Mehrheit der Sitze im Bundestag hält, wird es wahrscheinlich dennoch zu einer intensiven Debatte kommen. Einige CDU-Politiker plädieren für kein oder für ein schwächeres Gesetz, während Abgeordnete der Grünen und der Linkspartei ein weitaus strengeres Gesetz fordern.

Deutschland sollte sich zum Ziel setzen, innerhalb der EU mit gutem Beispiel voranzugehen, so Human Rights Watch. Ein robustes Lieferkettengesetz in Deutschland könnte sich positiv auf die andauernden Bemühungen auswirken, ein Gesetz zur menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflicht auf EU-Ebene zu verabschieden. Am 27. Januar stimmte der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments für einen Vorschlag, der eine EU-Gesetzgebung fordert, einschließlich der Haftung für Unternehmen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.

Die Bundestagsmitglieder sollten das Gesetz durch die folgenden Maßnahmen stärken:

  • Klarstellen, dass Unternehmen eine kontinuierliche und systematische menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung entlang der gesamten Lieferkette, einschließlich mittelbarer Zulieferer, durchführen müssen.

  • Den Geltungsbereich des Gesetzes ausweiten auf alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern oder einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro - im deutschen Recht als Großunternehmen definiert - sowie auf kleine und mittlere Unternehmen, wenn sie in Branchen mit besonders hohen Risiken für Mensch oder Umwelt tätig sind.

  • Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung für anhaltende oder irreversible Menschenrechts-, Arbeitsrechts- oder Umweltschäden hinzufügen, die ein Unternehmen durch seine eigene Geschäftstätigkeit oder seine Lieferkette verursacht oder wesentlich zu ihnen beiträgt.

  • Verpflichtungen bezüglich der ökologischen Sorgfaltspflicht festlegen, auch in Bezug auf den Klimawandel.

„Der Bundestag spielt nun eine entscheidende Rolle dabei, um aus dem Entwurf ein effektives Gesetz zu machen“, so Kippenberg. „Was wir brauchen, ist ein robustes Gesetz, das dazu beiträgt, die Rechte der schutzbedürftigsten Menschen zu respektieren.”

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