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Yamato Eguchi spricht auf der Veranstaltung für Überlebende der "Geiseljustiz" im japanischen Nationalparlament, Tokio, 10. November 2023. © 2023 Yoshiyuki Nishi

"Du bist ein Balg, nicht wahr? Du bist wie ein Kind."

Die Worte des Staatsanwalts erfüllen den kahlen Vernehmungsraum in Yokohama, Japan. Yamato Eguchi sitzt dem Staatsanwalt schweigend und fast regungslos gegenüber, die Augen geschlossen und mit dem Rücken gegen eine leere Wand gelehnt.

"Du bist einfach nur lästig. Du bist einfach nur eine Nervensäge."

Die Beschimpfungen und Demütigungen des Staatsanwalts dauern 56 Stunden in 21 Tagen an.

Einmal zückt er Eguchis Noten aus der Mittelstufe.

"Es sieht so aus, als wärst du nicht sehr gut in Mathe, Naturwissenschaften oder anderen Fächern gewesen."

All das hat nichts mit der Anklage gegen Eguchi zu tun, der 2018 als Anwalt angeklagt war, seinen Mandanten zu einer Falschaussage bei einem Autounfall verleitet zu haben. Die Beschimpfungen und Verunglimpfungen scheinen der eigentliche Punkt zu sein.

Und das ist typisch für Japan. Regelmäßige Daily Brief-Leser*innen erinnern sich vielleicht an unseren Einblick in Japans "Geiseljustizsystem" - hitojichi-shiho -, in dem du im Grunde genommen als schuldig giltst, sobald du als Verdächtige*r inhaftiert bist, lange vor Beginn eines Gerichtsverfahrens.

Die Behörden untergraben deine grundlegendsten Rechte. Sie versuchen, dir das Recht auf Schweigen zu entziehen, verhören dich ohne deinen Anwalt und zwingen dich zu einem Geständnis, indem sie dir eine Kaution verweigern. Häufig halten sie dich vor der Verhandlung ewig fest - manchmal monatelang oder sogar mehr als ein Jahr - um ein Geständnis aus dir herauszuquetschen, egal ob du schuldig bist oder nicht.

Das Ungewöhnliche an Eguchis Fall ist jedoch, dass es ein Video des missbräuchlichen Verhörs gibt. Eguchi hat eine Klage gegen die Regierung eingereicht und fordert vom Staat Wiedergutmachung für das, was er 2018 in der Haft ertragen musste. Einige der Videoaufnahmen von Eguchis Verhören wurden vor ein paar Wochen vor Gericht vorgeführt und sind jetzt auf YouTube für die ganze Welt zu sehen (sogar mit englischen Untertiteln).

Das hat in Japan öffentliche Empörung ausgelöst. Und das zu Recht.

Viele der Probleme, die in Japans "Geiseljustizsystem" stecken, sind in diesen kurzen Videoclips zu sehen. Zusätzlich zu den Beschimpfungen und Beleidigungen gegen Eguchi lacht der Staatsanwalt über sein Schweigerecht (das Recht, sich nicht selbst zu belasten). Eguchi hat keinen Anwalt dabei, der ihn vertritt - er durfte keinen haben.

Dieselben missbräuchlichen Praktiken haben zu unzähligen ungerechtfertigten Verurteilungen geführt und so viele Leben und Familien in ganz Japan auseinandergerissen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Videoaufnahmen und die öffentliche Empörung dazu beitragen werden, dass Japans Strafjustizsystem dringend notwendige Reformen durchführt. Das japanische Parlament, die nationale Legislative, sollte es dringend mit internationalen Standards in Einklang bringen: zum Beispiel das Recht auf Selbstbeschuldigung schützen und die Anwesenheit von Anwälten bei Verhören ermöglichen.

Der gesamte Ansatz des japanischen Strafrechtssystems muss sich grundlegend ändern. Menschen sollten so lange als unschuldig gelten, bis ihre Schuld vor einem Gericht bewiesen ist. Niemand sollte von vornherein als schuldig gelten und dann wochenlang erniedrigende Misshandlungen erdulden müssen.

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