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Russland/Georgien: Verletzung des Kriegsrechts durch alle Parteien in Südossetien

Beide Regierungen sollen Menschenrechtsverletzungen verfolgen und die Rückkehr Vertriebener ermöglichen

(New York, 23. Januar 2009) – Georgische, russische und südossetische Truppen haben im Süddossetien-Konflikt im August 2008 und in der Zeit danach in zahlreichen Fällen das Kriegsrecht verletzt. Sie sind für zahllose tote und verletzte Zivilisten sowie die Zerstörung ziviler Gebäude verantwortlich, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht, in dem der Konflikt umfassend untersucht wird.
Der 200-seitige Bericht „Up in Flames: Humanitarian Law Violations in the Conflict Over South Ossetia“ dokumentiert wahllose und unverhältnismäßige Angriffe des georgischen und russischen Militärs sowie eine Kampagne der südossetischen Truppen, um bestimmte von Georgiern bewohnte Dörfer in Südossetien systematisch zu zerstören. Der Bericht zeigt außerdem, dass es den russischen Streitkräften nicht gelang, in den von ihnen kontrollierten Gebieten die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten. Er stützt sich auf die Aussagen von über 460 Personen, die während der monatelangen Ermittlungen von Human Rights Watch vor Ort befragt wurden.
„Der Krieg in Südossetien war schon nach einer Woche beendet, doch er wird noch für Generationen verheerende Auswirkungen in der Zivilbevölkerung haben“, so Rachel Denber aus der Europa- und Zentralasien-Abteilung von Human Rights Watch. „Schuldzuweisungen sind jetzt fehl am Platz, vielmehr muss dringend dafür gesorgt werden, dass Menschenrechtsverbrecher vor Gericht gestellt werden und die Vertriebenen zurückkehren können.“
Südossetien ist eine abtrünnige Region in Georgien, die an Russland grenzt und enge Beziehungen mit Moskau pflegt. Der bewaffnete Konflikt brach am 7. August 2008 aus und endete mit einem Waffenstillstand am 15. August. Die georgischen Truppen zogen sich zurück, während das russische Militär Südossetien und zeitweise auch andere, nicht umkämpfte Teile Georgiens besetzte. In den sieben Tagen dauernden Kämpfen und in den darauf folgenden Wochen unkontrollierter Gewalt in den russisch besetzten Gebieten starben Hunderte Menschen, Zehntausende wurden vertrieben. Viele von ihnen konnten bis heute nicht in ihre Häuser zurückkehren.

Die Ermittlungen von Human Rights Watch ergaben, dass das georgische Militär in einer Reihe von Fällen wahllose und unverhältnismäßige Artillerieangriffe auf Südossetien durchgeführt hat. Auch mehrere georgische Bodenangriffe verursachten zivile Schäden, die in keinem Verhältnis zu dem erhofften militärischen Vorteil standen. Die georgischen Streitkräfte setzten wiederholt Mehrfachraketenwerfer in bewohnten Gebieten ein. Diese Waffensysteme machen keinen Unterschied zwischen zivilen und militärischen Zielen. Auch Russland soll die im Militärjargon als „Grad“ bezeichneten Raketen eingesetzt haben.

„Der Einsatz der wahllos tötenden Grad-Raketen zeigt die unverhohlene Gleichgültigkeit der georgischen Truppen gegenüber dem Schutz der Zivilbevölkerung in Südossetien“, so Denber.

Human Rights Watch fand auch Belege für wahllose Luft-, Artillerie- und Panzerangriffe durch russische Truppen in Südossetien und in nicht umkämpften georgischen Gebieten, bei denen zahlreiche Zivilisten verletzt oder getötet wurden. Zudem werden auch mehrere Fälle dokumentiert, in denen russische Besatzungstruppen im Distrikt Gori das Feuer auf zivile Fahrzeuge eröffneten und Zivilisten verwundeten oder töteten.

Sowohl russische als auch georgische Truppen setzten Streubomben ein, die zu Toten in der Zivilbevölkerung führten. Zudem wurden weitere Zivilisten durch Minenfelder von Blindgängern gefährdet. Streubomben sind gemäß der Konvention zum Verbot von Streumunition geächtet, die jedoch weder Russland noch Georgien unterzeichnet haben.

Nach dem Rückzug der georgischen Truppen aus Südossetien am 10. August zerstörten und plünderten südossetische Einheiten über Wochen systematisch Dörfer in Südossetien, die von Georgiern bewohnt waren und unter georgischer Verwaltung standen. Die Soldaten verprügelten, bedrohten und verschleppten zahlreiche Georgier und töteten einige von ihnen wegen ihrer Volkszugehörigkeit und ihrer politischen Gesinnung und mit der eindeutigen Absicht, die verbleibenden Einwohner zu vertreiben und Rückkehrer abzuschrecken.

Russland war durch das Völkerrecht verpflichtet, als Besatzer dieser Gebiete die öffentliche Ordnung und Sicherheit nach bestem Vermögen aufrecht zu erhalten.

„Statt Zivilisten zu schützen, ließen die russischen Truppen zu, dass südossetische Einheiten in ihrem Gefolge mutwillig und in großem Ausmaß georgische Häuser plünderten und niederbrannten sowie Zivilisten bedrohten, verprügelten, vergewaltigten und töteten“, so Denber. „Solche vorsätzlichen Angriffe sind Kriegsverbrechen und können – wenn sie als Teil einer groß angelegten und systematischen Kampagne erfolgen – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden.“

Mehr als 20.000 Georgier, die vor dem Konflikt geflohen sind, leben immer noch in Akhalgori, einem entlegenen Gebiet im Osten Südossetiens, das derzeit unter russischer Kontrolle steht. Dort werden sie von Milizen bedroht und schikaniert und leben in der ständigen Sorge, dass die Grenze des Verwaltungsbezirks mit dem Rest Georgiens geschlossen wird. Beides hat dazu geführt, dass zahlreiche Menschen Südossetien verlassen haben.

„Die permanente Zwangsumsiedlung Tausender Menschen kann nicht gutgeheißen werden“, so Denber. „Die russische Regierung sollte sich entschlossen zu dem Recht aller Vertriebenen bekennen, in ihre Häuser zurückzukehren und dort in Sicherheit und Würde zu leben. Sie muss die Sicherheit aller Menschen in Südossetien, ungeachtet ihrer Volkszugehörigkeit, gewährleisten.“

Der Bericht beschreibt auch, wie russische Einheiten georgische Gebiete besetzten, die an Südossetien grenzen, und ossetische Milizen dort zahlreiche Häuser plünderten, zerstörten und in Brand setzten. Dabei töteten sie mindestens neun Zivilisten und vergewaltigten zwei Personen. Vereinzelt waren auch russische Soldaten in die Brandschatzungen verwickelt, indem sie tatenlos zusahen, selbst plünderten oder Kämpfer in die Dörfer transportierten.

Der Human Rights Watch-Bericht zeigt im Detail, wie südossetische Kämpfer, teilweise gemeinsam mit russischen Soldaten, mindestens 159 Georgier willkürlich verhafteten. Sie töteten mindestens einen Gefangenen und nahezu alle wurden Opfer von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und schlechten Haftbedingungen. Mindestens vier georgische Kriegsgefangene wurden gefoltert, mindestens drei wurden hingerichtet. Georgische Verbände verprügelten und misshandelten mindestens fünf der 32 während der Gefechte im August gefangen genommenen Osseten.

„Sowohl Georgien als auch Russland sollen unabhängige und gründliche Untersuchungen der Misshandlungen durch ihre Truppen veranlassen“, so Denber. „Russland soll auch die Verbrechen südossetischer Milizen mit einbeziehen, da Südossetien unter russischer Kontrolle steht. Russland und Georgien müssen dafür sorgen, dass die Verantwortlichen bestraft werden, und die zahllosen Opfer des Konflikts angemessen entschädigen.“

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