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(Kuwait City, 6. Oktober 2010) - Hausangestellte in Kuwait, die von ihren Arbeitgebern misshandelt werden und fliehen wollen, müssen sich wegen „heimlicher Flucht“ vor Gericht verantworten und können ihren Arbeitgeber nur mit dessen Zustimmung verlassen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Ausländische Hausangestellte haben minimalen Schutz vor Arbeitgebern, die Löhne nicht zahlen, ihre Angestellten zu Überstunden ohne Ruhetage zwingen, ihnen nicht ausreichend zu Essen geben oder sie körperlich oder sexuell missbrauchen.

Der 97-seitige Bericht „Walls at Every Turn: Exploitation of Migrant Domestic Workers Through Kuwait's Sponsorship System“
dokumentiert, wie Hausangestellte, die Opfer von Ausbeutung und Missbrauch am Arbeitsplatz wurden, sich vor Gericht verantworten müssen, weil sie ihren Arbeitgeber ohne seine Zustimmung verlassen haben. Die Regierungsbehörden nehmen als „geflüchtet" gemeldete Arbeitskräfte fest, in den meisten Fällen werden sie abgeschoben, selbst wenn sie missbraucht wurden und auf Schadensersatz klagen.

„Die Arbeitgeber haben in Kuwait alle Trümpfe in der Hand", so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Wenn missbrauchte oder ausgebeutete Arbeitskräfte zu fliehen versuchen oder eine Beschwerde einreichen, macht es das Gesetz den Arbeitgebern leicht, sie der ‚heimlichen Flucht' anzuklagen und abschieben zu lassen. Die Regierung hat die Beschäftigten dem Wohlwollen der Arbeitgeber überlassen. Mangelt es an Wohlwollen, müssen sie darunter leiden."

Kuwait hat den höchsten Anteil an Hausangestellten pro Einwohner im Nahen Osten. Die Regierung kündigte am 26. September 2010 an, dass sie das Bürgschaftssystem (kafala) im Februar 2011 abschaffen und das arbeitgeberbasierte System durch eine staatlich regulierte Einstellungsbehörde ersetzen wolle. Dies wäre eine wichtige Reform. Die Regierung machte jedoch weder Angaben zu den neuen rechtlichen Schutzmaßnahmen für Arbeitsmigranten noch darüber, ob die Neuerungen auch für Hausangestellte gelten werden.

Die mehr als 660.000 ausländischen Hausangestellten machen fast ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in dem kleinen, nur 1,3 Millionen Staatsbürger zählenden Golfstaat aus. Vom Arbeitsrecht, das andere Arbeitnehmer schützt, sind Hausangestellte jedoch ausgeschlossen. Noch im Februar 2010 bekräftigte der kuwaitische Gesetzgeber diesen Ausschluss, indem ein neues Arbeitsgesetz für den Privatsektor verabschiedet wurde, das die Arbeit von Hausangestellten nicht einbezieht.

„Es soll keinen Gesetzesverstoß darstellen, wenn man vor einem Arbeitgeber wegläuft, der gegen die Rechte seiner Angestellten verstößt", so ein Aktivist, der regelmäßig Hausangestellte in Kuwait berät und anonym bleiben möchte. „Manchmal sagen diese Mädchen ‘Wissen Sie, was in dem Haus passiert ist? Sie haben mich geschlagen, mich bespuckt... Warum klagt man mich an?‘"

Angaben von Human Rights Watch zufolge haben Hausangestellte aus Sri Lanka, Indonesien, den Philippinen und Äthiopien im Jahr 2009 über 10.000 Beschwerden bei ihren jeweiligen Botschaften in Kuwait eingereicht.

Durch die von der kuwaitischen Regierung angekündigte Reform des Bürgschaftssystems soll „heimliche Flucht" nicht länger als rechtswidrig betrachten und den Arbeitskräften ein Stellenwechsel ohne die Zustimmung ihres Arbeitgebers ermöglicht werden, so Human Rights Watch. Außerdem soll die Regierung Arbeitskräfte, die ihren Arbeitgeber verlassen, weil dieser gegen ihre Rechte verstoßen hat, nicht mehr festnehmen und abschieben. Stattdessen soll sie Notunterkünfte für die Hausangestellten zur Verfügung stellen und für beschleunigte Beschwerdeverfahren sorgen.

Tilkumari Pun, eine 23-jährige Hausangestellte aus Nepal, berichtete Human Rights Watch, sie habe 13 Monate ohne Bezahlung gearbeitet. Sie bat ihre Arbeitgeber mehrmals um ihren Lohn, um nach Nepal zurückkehren zu können, wo sich ihr Vater einer Herzoperation unterziehen musste. Als sie zehn Monate später noch immer kein Geld erhalten hatte, wandte sie sich an die Polizei und wurde festgenommen. Von der Polizeiwache aus berichtete sie: „Ich musste zur Kriminalpolizei. Baba und Mama [meine Arbeitgeber] hatten bei der Polizei Anzeige gegen mich erstattet."

Der Bericht „Walls at Every Turn" basiert auf Interviews mit 49 Hausangestellten, Vertretern der jeweiligen Botschaften in Kuwait und kuwaitischen Regierungsbeamten, darunter Vertreter des Ministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Innenministeriums. Human Rights Watch sprach außerdem mit Arbeitgebern, Bürger- und Menschenrechtlern vor Ort, mit Anwälten und Wissenschaftlern.

Die Hausangestellten gaben in den Interviews verschiedene Verstöße ihrer Arbeitgeber an, einschließlich Nichtzahlung von Löhnen, Verweigerung arbeitsfreier Tage sowie körperliche oder sexuelle Gewalt. Sie sagten jedoch, es sei praktisch unmöglich gewesen, ihre Beschwerden weiter zu verfolgen.

Es stellte sich heraus, dass sie nur dann den Rechtsweg weiter hätten verfolgen können, wenn sie bereit gewesen wären, Wochen oder gar Monate in überfüllten Unterkünften der Botschaft auf den Abschluss der Verhandlungen mit ihrem Bürgen oder eines langwierigen Prozesses zu warten. Wird eine Arbeitsmigrantin von ihrem Arbeitgeber als „geflüchtet" gemeldet, verliert sie umgehend ihren Aufenthaltsstatus, darf also bis zur Entscheidung ihres Falles offiziell nicht arbeiten und kann kein Geld mehr nach Hause schicken.

„Hausangestellte sind häufig auf ihren Lohn angewiesen, weil sie ihre Familien in der Heimat unterstützen müssen", so Whitson. „Diese Arbeitskräfte sollen nicht monatelang in überfüllten Unterkünften ausharren müssen, ohne arbeiten oder sich frei bewegen zu können, zumal viele von ihnen bereits Opfer von Rechtsverletzungen waren."

Hausangestellte sind vom Arbeitsrecht ausgeschlossen und haben es besonders schwer, ihre Lohnansprüche einzuklagen. Ausbeutung und Missbrauch in Privathaushalten nachzuweisen, kann aufgrund der beschränkt zur Verfügung stehenden Beweise schwierig sein. Trotz der hohen Zahl von Arbeitsmigranten und Beschwerden wegen nicht gezahlter Löhne gibt es in Kuwait keine beschleunigten Verfahren an den Arbeitsgerichten. Aufgrund der langen Wartezeiten, spärlicher Informationen über ihre Rechte und Möglichkeiten sowie geringer Erfolgsaussichten lassen viele ihre Schadenersatzforderungen fallen.

Aber selbst wenn Hausangestellte ihr Recht nicht weiter verfolgen, müssen sie mit langen Verzögerungen rechnen, ehe sie das Land verlassen können. Nur wenige der von Human Rights Watch befragten Beschäftigten, die ihren Arbeitgeber verlassen hatten, haben ihren Reisepass zurückerhalten. Die Arbeitgeber konfiszieren Pässe, um die Ausreise zu verzögern, und setzen sie als Druckmittel bei den Verhandlungen ein. Arbeitskräfte, die von ihren Arbeitgebern als „geflüchtet" gemeldet werden, müssen oftmals zusätzliche Wartezeiten in Kauf nehmen, bis alle Vorwürfe geklärt sind - auch wenn die Angestellten vor dem Missbrauch am Arbeitsplatz geflohen waren oder ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hatten.

Die aus Indonesien stammende Angestellte Nur W. sagte bei ihrem Interview in einer staatlichen Abschiebehaftanstalt, ihre Arbeitgeberin habe sie nach Ablauf ihres Zwei-Jahres-Vertrags nicht in ihre Heimat zurückkehren lassen und die Herausgabe ihres Passes verweigert, nachdem sie weggelaufen war. „Ich ging zu meiner Botschaft", berichtete sie. „Sie riefen Mama [meine Arbeitgeberin] an. Mama weigerte sich immer noch, [mir meinen Pass zurückzugeben]. Ich musste in Abschiebehaft."

„Arbeitskräfte, die ohne Bezahlung zur Arbeit gezwungen wurden, kein Essen erhielten oder unmenschlich behandelt wurden, sollen nicht in Abschiebehaft oder ins Gefängnis müssen oder durch Abschiebeverfahren in die Heimat zurückgeschickt werden", so Whitson. „Die Regierung soll Arbeitskräften, die wegen Missbrauch am Arbeitsplatz Anzeige erstatten, eine Unterkunft zur Verfügung stellen und die rechtlichen Hürden beseitigen, die Arbeitgeber selbst noch gegen Frauen aufbauen können, die bereits unter der schlechten Behandlung leiden mussten."

Die kuwaitische Regierung unterhält zwar momentan eine Unterkunft mit 50 Betten für Hausangestellte, allerdings können die Arbeitskräfte nur über die Botschaften dorthin vermittelt werden, und erst, wenn die Polizei alle Vorwürfe geklärt hat. Die Frauen müssen also in der Regel lange Zeit in den Unterkünften ihrer Botschaften ausharren, bis sie in die Regierungseinrichtung können. Als Human Rights Watch die Einrichtung besuchte, war diese nicht ausgelastet, obwohl dringender Bedarf an Unterkünften für Hunderte von Hausangestellten besteht und die Unterkünfte der Botschaften überbelegt sind.

„Wenn skrupellose Arbeitgeber Hausangestellte ausbeuten, soll die Regierung die Betroffenen nicht noch zusätzlich bestrafen", so Whitson. „Seit Jahren spricht die Regierung von einer kafala-Reform. Die Maßnahmen zum Schutz dieser Arbeitskräfte müssen nun endlich in die Tat umgesetzt werden."

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