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(Kabul) - Die iranische Regierung verletzt durch ihr Vorgehen gegen afghanische Flüchtlinge und Migranten ihre Verpflichtung, diese verletzlichen Gruppen zu schützen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Iranische Sicherheitskräfte schieben Tausende Afghanen ab, ohne diesen die Möglichkeit zu geben, ihren rechtmäßigen Aufenthalt im Iran zu belegen oder einen Asylantrag zu stellen.

Der 124-seitige Bericht „Unwelcome Guests: Iran's Violation of Afghan Refugee and Migrant Rights“ dokumentiert unfaire Haft- und Abschiebeverfahren im iranischen Asylsystem, gegen die die Betroffenen keinen Einspruch einlegen können. In den vergangenen Jahren haben die iranischen Behörden die Möglichkeiten stark eingeschränkt, auf denen Afghanen als Flüchtlinge oder aus anderen Gründen Aufenthaltsgenehmigungen erhalten können - obwohl sich die Situation in Afghanistan zunehmend verschärft. Diese Politik gefährdet nicht nur massiv die Rechte und die Sicherheit von knapp einer Million staatlich anerkannter Flüchtlinge und von Hunderttausenden anderen, die vor Krieg und Unsicherheit in Afghanistan geflohen sind. Sie verletzt auch die Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, die der Iran einhalten muss.

„Die iranische Regierung schiebt Tausende Menschen in ein Land ab, in dem sie zweifellos ernsthaft gefährdet sind“, so Joe Stork, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Der Iran hat die Pflicht, ihre Asylgesuche anzuhören, anstatt sie zusammenzutreiben und über die Grenze nach Afghanistan zu jagen.“

Human Rights Watch hat unzählige Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, darunter körperliche Misshandlung, unhygienische und unmenschliche Haftbedingungen, erzwungene Zahlungen für Transport und Unterkunft in Abschiebelagern, Zwangsarbeit und gewaltsame Trennungen von Familien. Besonders besorgniserregend ist, dass die iranischen Sicherheitskräfte auch unbegleitete Flüchtlingskinder misshandeln. Diese reisen ohne ihre Eltern oder andere erwachsene Begleiter und stellen einen bedeutenden Anteil der afghanischen Arbeitsmigranten und Abgeschobenen.

Die Regierung übt zunehmend Druck auf die afghanische Bevölkerung aus, das Land zu verlassen. Im Juni 2012 hat sie die Registrierung für den so genannten „Umfassenden Legalisierungsplan“ beendet, durch den einige irregulär im Iran lebende Afghanen einen legalen Aufenthaltsstatus und ein zeitlich befristetes Visum erhalten haben.

Im November verabschiedete das Kabinett eine Verordnung, nach der die Regierung bis Ende des Jahres 2015 1,6 Millionen Ausländer abschieben kann, die „sich illegal im Iran aufhalten“. Diese Verordnung wurde auf der Ebene des Vizepräsidenten bestätigt. Sie beauftragt das Innenministerium zusätzlich damit, die freiwillige Rückführung von 200.000 als Flüchtlingen anerkannten Afghanen vorzubereiten und weiteren 700.000 Afghanen ihren Flüchtlingsstatus zu entziehen.

Am 6. September 2013 sind die befristeten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen von rund 300.000 Afghanen ausgelaufen, die sie durch den Legalisierungsplan erhalten hatten. Die Regierung hat diese Menschen aufgefordert, das Land zu verlassen, und lehnt ab, ihre Visa zu verlängern. Ihren Plan, diese Menschen sukzessive abzuschieben, hat sie bisher noch nicht umgesetzt.

Während die iranische Regierung den Druck auf Afghanen erhöht, das Land zu verlassen, verschlechtern sich die wirtschaftliche Situation und die Sicherheitslage in Afghanistan. Dadurch werden die Gefahren für Rückkehrer immer größer. Wegen massiver bewaffneter Konflikte und der desaströsen Sicherheitslage erhöhte sich die Zahl der Binnenflüchtlinge in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 106.000 auf über 583.000 Personen. In Folge von Angriffen der Taliban und anderer bewaffneter Gruppen stieg die Zahl ziviler Todesopfer im gleichen Zeitraum um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die Wirtschaftslage wird immer unsicherer. Internationale Investitionen und Entwicklungshilfe nehmen ab, weil Ende des Jahres 2014 der vollständige Abzug der internationalen Kampftruppen bevorsteht.

Afghanischen Flüchtlingen steht Asyl oder anderer Schutz zu, nach internationalem Recht und auf Grund der Situation in ihrem Heimatland. Aber Neuankömmlinge sind im Iran mit gesetzlichen Einschränkungen und bürokratischen Hürden konfrontiert. Darüber hinaus verhindert die iranische Politik, dass Hunderttausende Afghanen ihre Abschiebung juristisch anfechten können. Bei ihrer Rückkehr drohen ihnen Verfolgung oder erhebliches Leid.

„Mehr als drei Jahrzehnte lang hat der Iran die erhebliche Belastung geschultert, eine der weltweit größten Flüchtlingsgruppen aufzunehmen. Aber die Regierung muss diese Menschen auch entsprechend internationaler Standards behandeln“, so Stork. „Afghanistan ist heute noch gefährlicher als zu dem Zeitpunkt, als die meisten geflüchtet sind. Jetzt darf der Iran sie nicht nach Hause schicken.“

Vielmehr soll die iranische Regierung die gravierenden Defizite im Asylsystem beheben, wegen derer viele Afghanen keine Asylanträge stellen können. Mehr als 800.000 heute als Flüchtlinge anerkannten Afghanen haben sich im Jahr 2003 über das Amayesh-Verfahren angemeldet, ein Registrierungssystem, mit dem Flüchtlinge identifiziert und zurückverfolgt werden können. Sie müssen ihre Meldedokumente jährlich erneuern, um nicht nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

Insgesamt ist die Behandlung der registrierten afghanischen Flüchtlinge problematisch. Die iranische Regierung hat ein kompliziertes und langwieriges Verfahren etabliert, das Afghanen durchlaufen müssen, um ihren Status als Amayesh-Flüchtlinge zu behalten. Zum Beispiel müssen sie sich mehrfach bei den relevanten Regierungsstellen melden. Menschen, die kaum lesen können und Schwierigkeiten damit haben, das bürokratische Prozedere zu verstehen, erhalten keine amtliche Unterstützung. Darüber hinaus müssen die Betroffenen hohe Gebühren für die Anmeldungen bezahlen, die viele arme Flüchtlinge nicht aufbringen können.

Abgeschobene Afghanen berichten, dass die Behörden die kleinsten technischen Fehler, etwa während des Anmeldeverfahrens, zum Anlass nehmen, den Betroffenen dauerhaft ihren Flüchtlingsstatus zu entziehen und sie abzuschieben. Darüber hinaus hat die Regierung große Gebiete des Landes zu „No-Go Areas“ für Ausländer erklärt, die sie weder bereisen noch dauerhaft bewohnen dürfen.

Auch Polizei und Sicherheitskräfte verletzen die Rechte von Migranten und begehen bei Abschiebungen massive Menschenrechtsverletzungen. Einige der von Human Rights Watch befragten Personen lebten jahre- oder sogar jahrzehntelang als anerkannte Flüchtlinge im Iran. Dennoch haben die Beamten, die ihre Abschiebung durchführten, ihnen keine Zeit gelassen, ihre Löhne und persönlichen Besitz zusammenzutragen. Manche durften nicht einmal ihre Familienangehörigen kontaktieren.

Die Politik der Regierung gegenüber Migranten führt auch zu anderen Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen. Zwar haben sich die Behörden darum bemüht, afghanische Kinder in das Bildungssystem zu integrieren, aber Eltern mit irregulärem Aufenthaltsstatus können ihre Kinder wegen bürokratischen Hürden nicht zur Schule schicken. Das verletzt völkerrechtliche Bestimmungen. Weiterhin schränken Gesetze die Arbeitsmöglichkeiten von anerkannten Flüchtlingen ein. Ihnen steht nur eine begrenzte Zahl gefährlicher und schlecht bezahlter, handwerklicher Stellen offen, unabhängig von ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten. Andere Gesetze negieren oder begrenzen ihre Bürger- und Heiratsrechte. Afghanische Männer, die iranische Frauen heiraten, können sich nicht um die iranische Staatsbürgerschaft bewerben. Auch Kinder solcher Paare erhalten sie nur schwer.

Die Regierung schützt die afghanische Bevölkerung auch nicht ausreichend vor der zunehmenden fremdenfeindlichen Gewalt. Angreifer werden selten strafrechtlich verfolgt.

„Der Iran verletzt die Rechte der im Land lebenden Afghanen auf unzähligen Ebenen“, so Stork. „Auch Migranten ohne Flüchtlingsstatus haben ein Recht darauf, ihre Kinder in die Schule zu schicken, vor Menschenrechtsverletzungen geschützt zu werden und vor ihrer Abschiebung um Asyl ersuchen zu dürfen. Nichts davon respektiert die iranische Regierung.“

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