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Die spanische Regierung hat keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen der Immobilien- und Schuldenkrise für schutzbedürftige Gruppen abzufedern, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Zehntausende Familien sind oder waren von der Zwangsversteigerung ihres Wohneigentums betroffen, welches sie meist auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms in Spanien erworben haben. Damals sorgten unverantwortliche Praktiken bei der Kreditvergabe für einen äußerst einfachen Zugang zu Hypotheken.

Der 81-seitige Bericht „Shattered Dreams: Impact of Spain’s Housing Crisis on Vulnerable Groups“ dokumentiert die Notlage vieler Familien in Spanien, die im Zuge von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit bei ihren Hypotheken in Zahlungsverzug gerieten und ihr Zuhause verloren. Der Bericht basiert auf 44 Interviews mit Männern und Frauen, die selbst Opfer einer Zwangsräumung wurden oder kurz davor standen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Regierungsvertreter wurden befragt. Zu den Hauptleidtragenden zählen Migranten, Frauen die einen Haushalt führen, Frauen, die durch frühere Partner wirtschaftlich benachteiligt werden und Kinder.

„Aus dem Traum vom Eigenheim wurde der Alptraum von Zwangsvollstreckung, Zwangsräumung und Überschuldung“, so Judith Sunderland, Westeuropa-Expertin bei Human Rights Watch und Autorin des Berichts. „Allerdings geht es hier nicht nur um zerstörte Träume. Es geht um die Verantwortung der Regierung, grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf angemessenen Wohnraum zu schützen.“

Dies soziale Krise rund um Zwangsräumungen und Verschuldung steht im Hintergrund einer Regierungspolitik, die jahrzehntelang aggressiv für Hausbesitz und Kreditaufnahme warb und zu Lasten der Bereitstellung angemessener und bezahlbarer Mietwohnungen sowie ausreichender Investitionen in öffentliche Mietwohnungen ging. Eine verantwortungslose Kreditvergabe und unfaire Konditionen bei Hypotheken, exorbitante Verzugszinssätze, das skrupellose Vorgehen von Kreditvermittlern und die mangelhafte Kontrolle während der Boomjahre setzten eine schädliche Dynamik in Gang, deren Auswirkungen in Spanien wohl noch jahrelang spürbar sein werden.

Die Wirtschaftskrise in Spanien, wo über 5 Millionen Menschen arbeitslos sind, hat Eigenheimbesitzer besonders hart getroffen. Mit etwa 85% hat Spanien eine der höchsten Eigentumsquoten in der Europäischen Union. Nur etwa 2% des Immobilienbestandes entfallen auf öffentliche oder subventionierte Mietwohnungen. Die Rezession löste einen Bauboom ab, der von 1997 bis 2007 andauerte und während dem in Spanien mehr Häuser gebaut wurden als in Deutschland, England und Frankreich zusammen. Das Immobilien- und Baugewerbe trug zu dieser Zeit mehr als 43% zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Daniela, eine arbeitslose alleinerziehende Mutter, verlor im Mai 2011 ihr Zuhause, weil sie bei der Hypothekentilgung in Verzug geraten war. Ihr ältester, inzwischen 14-jähriger Sohn begann Probleme in der Schule zu haben, als die Familie vor der Zwangsvollstreckung- und räumung stand. „Er wusste alles“, sagt sie. „Die Schule riet uns zu einem Psychologen.“ Daniela begann eine Therapie und war in medikamentöser Behandlung: „Ich fühlte mich, als wäre ich in einem schwarzen Loch. Aber ich muss die Kraft haben, weiterzumachen. Ich habe drei Kinder, ich kann es mir nicht leisten, depressiv zu sein.“

Die spanische Regierung muss umgehend Maßnahmen einleiten, die ein breites Spektrum von Einzelpersonen und Familien vor der Zwangsräumung schützen, bezahlbaren Wohnraum sichern und den Zugang zu einer fairen Schuldensanierung, einem Schuldennachlass oder einem Schuldenerlass zu gewährleisten. Die Regierung sollte schnell handeln, um Spaniens Insolvenzgesetz zu reformieren und einen fairen Zugang zur Schuldentilgung zu ermöglichen. Die Europäische Kommission sollte sicherstellen, dass Spanien die kürzlich verabschiedete EU-Richtlinie zu Hypotheken korrekt umsetzt.

Laut internationalem Recht ist das Recht auf angemessenen Wohnraum Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard. Das Recht auf angemessenen Wohnraum beinhaltet unter keinen Umständen ein Recht auf Besitz von Immobilien oder den Erhalt von Besitzrechten. Es verpflichtet Regierungen allerdings sicherzustellen, dass politische Richtlinien und Gesetzgebungsakte das Recht auf angemessenen Wohnraum kontinuierlich, so zügig wie möglich und für alle Teile der Gesellschaft umsetzen. Bezahlbarkeit ist ein Schlüsselaspekt dieser Verpflichtung  

Als Reaktion auf erheblichen öffentlichen Druck, unter anderem durch die „grass roots“-Organisation „Platform of Mortgage Victims“, beschloss die spanische Regierung im November 2012 einen zweijährigen Stop von Zwangsräumungen für bestimmte Familien. Die Zulassungskriterien wurden im Mai 2013 erweitert, waren aber auch danach zu eng gefasst und  mit internationalem Recht vereinbar. So gilt das Räumungsverbot nur für Familien mit drei oder mehr Kindern, alleinerziehende Eltern mit zwei oder mehr Kindern sowie gemeinsam lebende Eltern mit einem Kind unter drei Jahren. Nach internationalem Recht ist jede Person unter 18 Jahren ein Kind und hat Anspruch auf die Rechte, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben sind, einschließlich des Rechts auf eine Unterkunft.

„Die Familie eines Dreijährigen darf in ihrem Zuhause bleiben, die eines Vierjährigen jedoch nicht“, so Sunderland. „Diese Aufteilung ist völlig willkürlich. Die Regierung braucht bessere, sinnvollere und fairere Richtlinien“.

Etwa ein Drittel der Betroffenen der Immobilienkrise sind Migranten, dies ist ein Vielfaches ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung. Viele von ihnen, besonders unter ecuadorianischen Migranten, waren an sogenannten Kreuz- oder Kettenhypotheken beteiligt. Bei Kreuzhypotheken garantieren zwei Käufer die Kredite des jeweils anderen, während bei Kettenhypotheken eine Reihe von Personen, die sich oft unbekannt sind, ihre Kredite garantieren. In beiden Fällen kann es zu einer Kettenreaktion kommen, wenn eine Person mit Hypothekenzahlungen in Verzug gerät, da die übrigen als Bürgen haftungspflichtig sind.

Frauen, die alleine einen Haushalt führen, sehen sich oftmals vor besonders großen Herausforderungen aufgrund ihrer erhöhten Einkommensinstabilität, ihrem niedrigeren Durchschnittsgehältern und ihrer größeren Verpflichtungen im Hinblick auf die Kinderbetreuung. Frauen, die durch einen gemeinsam aufgenommenen Kredit noch an einen früheren Partner gebunden sind, mit dem sie im Streit stehen, können dabei wirschaftlichem Missbrauch begegnen – einer Form von häuslicher Gewalt, die unter spanischem Recht noch nicht anerkannt ist. Wirschaftlicher Missbrauch ist beispielsweise gegeben, wenn sich ein Partner weigert in Verhandlungen mit der Bank zu kooperieren. Die Auswirkungen unsicherer Wohnverhältnisse auf Kinder sind äußerst beunruhigend. Bisher hat die Regierung es versäumt, bei der Erarbeitung von politischer Richtlinien die Auswirkungen auf diese Gruppen ausreichend zu berücksichtigen.

Die Hypothekenkrise in Spanien hat Individuen und Familien in die Überschuldung gedrängt, da in den meisten Fällen eineWiederinbesitznahme durch die Bank nur einen Teil der Schulden eliminiert. Zusammen mit dem Fehlen eines zugänglichen Privatinsolvenzverfahrens führt dies dazu, dass viele unter der Last erheblicher Schulden stehen, für die es keine wirkliche Aussicht auf Tilgung oder Erlass gibt. Überschuldung kann einen stark negativen Einfluss auf grundlegende Rechte haben, so wie das Recht auf einen angemessenen Lebenstandard. Bisher getroffene Maßnahmen der Regierung zur Linderung des Hypothekarschuldüberhangs sind unzureichend.

„Für normale Leute ist es in Spanien beinahe unmöglich, Privatinsolvenz zu erklären, was bedeuted, dass sie ihre Überschuldung mit ins Grab nehmen“, sagt Sunderland. „Menschen, die in einem extrem hohen Niveau von Verschuldung leben, verdienen die Chance auf einen Neustart“.

Human Rights Watch schrieb an elf Banken in Spanien mit Fragen zu ihren Positionen bezüglich der im Bericht diskutierten Themen. Die Meinungen der sieben Banken die antworteten, werden im Bericht wiedergegeben. Die Banken regierten auf die Hypothekenkrise in unterschiedlicher Weise. Ein Großteil unterschrieb einen freiwilligen, von der Regierung geförderten „Code of Good Practices“. Banken überschrieben knapp 6000 Immobilien an einen sozialen Wohungsfond der eingerichtet wurde, um zwangsenteigneten Familien einen Wohnraum zu bezahlbaren Mieten zu bieten. Strenge Zulassungskriterien, die schlechte Qualität der zur Verfügung gestellten Einheiten und die Tatsache, dass die Betroffenen in vielen Fällen weit von ihrer ursprünglichen Nachbarschaft und ihren sozialen Netzwerken weg ziehen müssten, haben diese Initiative jedoch unterlaufen. Erst vor ein paar Tagen erweiterte der Fond die Zulassungskriterien, so dass jetzt alle Familien mit Kindern, unabhängig vom Alter der jeweiligen Kinder, qualifiziert sind sich zu bewerben.

„Regierungen sollten auch danach beurteilt werden, wie sie mit den menschlichen Konsequenzen der Krise umgehen—nicht nur nach wirtschaftlichen Indikatoren“, so Sunderland. „Die spanische Regierung muss einen genauen Blick auf ihe derzeitigen Politklinien werfen und dabei ein breiteres Spektrum von Menschen bedenken, die durch Verzug auf Hypothekenzahlungen von sozialer Ausgrenzung bedroht sind.“

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