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Kubas Präsident Raul Castro (M), Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos (L) und Farc Rebellen Führer Rodrigo Londono, besser bekannt als der Guerillero Timochenko, reagieren nach dem Unterzeichnen des Waffenstillstands zwischen der kolumbianischen Regierung und den Farc Rebellen in Havanna, Kuba, 23. Juni 2016. © 2016 Reuters 

(Washington, D.C.) – Am 24. August 2016 beendeten die kolumbianische Regierung und die Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) ihren 52-jährigen Konflikt mit einem Friedensvertrag, der erstmals ermöglicht, die Menschenrechtsverletzungen im Land einzudämmen, so Human Rights Watch heute. Aber er hat enthält einen schweren Fehler, an dem er scheitern könnte: ein problematisches Opferabkommen, das im Dezember 2015 geschlossen wurde und dazu führen könnte, dass die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen straffrei bleiben.

Die Friedensgespräche mit der Guerilla begannen im Oktober 2012 und beinhalteten neben der Beendigung des Konflikts auch weitere Tagesordnungspunkte. Zu fünf von ihnen wurden Teilabkommen geschlossen, unter anderem zu politischer Teilhabe, den Rechten der Opfer und der Drogenpolitik. Die Regierung wird in den kommenden Wochen eine Volksabstimmung durchführen, die den Friedensvertrag bestätigen soll.

„Dass die FARC-Guerilla nun bereit ist, zu demobilisieren und ihre Waffen abzulegen, sollte ein tragisches und blutiges Kapitel der kolumbianischen Geschichte beenden und den Menschen nach Jahren der Gewalt und der Menschenrechtsverletzungen Erleichterung verschaffen“, so José Miguel Vivanco, Leiter der Amerika-Abteilung von Human Rights Watch. „Aber die verhandelnden Parteien unterminieren die Chance auf einen dauerhaften und gerechten Frieden mit einem so genannten Opferabkommen, das genau den Personen nicht gerecht wird, die am stärksten unter den Gräueltaten gelitten haben.“

Wenn es der kolumbianischen Regierung ernst damit ist, einen nachhaltigen Frieden zu schaffen und das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit zu respektieren, dann sollte sie die schweren Defizite des Opferabkommen beheben, wenn es gesetzlich implementiert wird.
José Miguel Vivanco

Americas Director

Seit ihrer Gründung Mitte der 1960er Jahre hat die FARC-Guerilla, Kolumbiens größte Rebellengruppe, systematisch Zivilisten misshandelt. Die Guerilla hat Zivilisten getötet und verschleppt, als Geiseln genommen, verschwinden lassen, massenhaft sexualisierte Gewalt gegen sie angewandt, Kindersoldaten rekrutiert, unfaire Prozesse durchgeführt, Bevölkerungsteile gewaltsam vertrieben, und gefangen genommene gegnerische Soldaten grausam und unmenschlich behandelt.

In seiner aktuellen Form sieht das Opferabkommen vor, dass sich die Hauptverantwortlichen für diese Gräueltaten der Justiz werden entziehen können, da sie jeglicher ernstzunehmenden Strafe entgehen können, wenn sie ihre Verbrechen gestehen.

Unter dem Abkommen können FARC-Kämpfer durch ein Geständnis verhindern, dass sie zu einer Gefängnisstrafe oder einer „äquivalenten“ Haftstrafe verurteilt werden. Stattdessen stünden ihnen Sanktionen in Form von moderaten und kurzfristigen „Einschränkungen von Rechten und Freiheiten“ bevor, während sie Projekte durchführen sollen, mit denen die Opfer des Konflikts unterstützt werden. Die zahlreichen mehrdeutigen Passagen und Schlupflöcher im Abkommen können dazu führen, dass geständige Verbrecher vorzeitig von diesen „Einschränkungen“ befreit werden und ihnen keinerlei Konsequenzen drohen, wenn sie sich nicht an die gegen sie verhängten Sanktionen halten.

Ähnliche Sanktionen stünden Angehörigen der kolumbianischen Armee bevor, vermutlich auch denjenigen, denen vorgeworfen wird, für systematische Hinrichtungen von Tausenden Zivilisten verantwortlich zu sein. Diese wurden in den Jahren zwischen 2002 und 2008 von Armeebrigaden verübt und sollten die Zahlen getöteter feindlicher Kämpfer in die Höhe treiben – die Fälle wurden als „Falsos Positivos-Skandal“ bekannt.

„Geständige und verurteilte Kriegsverbrecher nur mit gemeinnütziger Arbeit zu ‚bestrafen‘ ist in grotesker Weise unangemessen“, so Vivanco. „Die internationale Staatengemeinschaft sollte vor dieser Justizfassade nicht die Augen verschließen, die gerade im Namen des Friedens aufgebaut wird.“

Ein anderer besorgniserregender Aspekt des Justizabkommens ist seine Definition von „Befehlsverantwortung“. Sie kann so ausgelegt werden, dass sie – entgegen völkerrechtlicher Standards – Kommandanten der kolumbianischen Armee und der FARC-Guerilla von der Verantwortung für Verbrechen ihrer Untergebenen entbindet. Das Abkommens lässt sich so interpretieren, dass Beweise dafür vorliegen müssen, dass Befehlshaber tatsächlich von Menschenrechtsverletzungen ihrer Truppen wussten. In der völkerrechtlichen Definition wird hingegen davon ausgegangen, dass sie über solche Vorkommnisse informiert sind.

„Wenn es der kolumbianischen Regierung ernst damit ist, einen nachhaltigen Frieden zu schaffen und das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit zu respektieren, dann sollte sie die schweren Defizite des Opferabkommen beheben, wenn es gesetzlich implementiert wird“, sagt Vivanco. „Sie kann einen Anfang machen, indem sie das Abkommen ändert. Es soll gewährleisten, dass Befehlshaber für die Verbrechen ihrer Truppen zur Verantwortung gezogen werden können, und ambivalente Formulierungen müssen präzisiert werden, damit geständige Verbrecher angemessen bestraft werden können.“

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