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Syrische Kinder sowie Schulen in der Türkei, im Libanon und in Jordanien. © 2017 Human Rights Watch

(Beirut) – Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern, die letztes Jahr dafür hätten sorgen sollen, dass Flüchtlingskinder aus Syrien zur Schule gehen können, haben diese entweder nicht oder nur verspätet erreicht. Zudem konnte aufgrund schlechter Dokumentation oder Berichterstattung nicht nachverfolgt werden, wohin das Geld genau floss, so Human Rights Watch heute.

Der 55-seitige BerichtFollowing the Money: Lack of Transparency in Donor Funding for Syrian Refugee Education” untersucht, was mit den Hilfsgeldern passiert ist, die im Februar 2016 im Rahmen einer Konferenz in London zugesichert wurden. Human Rights Watch verfolgte den Geldfluss der größten Geber für Bildung im Libanon, in der Türkei und in Jordanien, den drei Ländern mit den meisten syrischen Flüchtlingen. Hierbei wurden große Diskrepanzen festgestellt zwischen den Mitteln, die angeblich zur Verfügung gestellt wurden, und den Summen, die 2016 tatsächlich ihr Ziel erreichten. Der Mangel an zeitgerechter und transparenter Finanzierung führte mit dazu, dass zum Ende des Schuljahres 2016/2017 mehr als 530.000 syrische Kinder in diesen Ländern noch immer nicht zur Schule gehen konnten.

Geber und Aufnahmeländer haben versprochen, syrische Kinder nicht zu einer verlorenen Generation werden zu lassen. Genau dies passiert jedoch gerade“, so Simon Rau, Mercator Fellow bei Human Rights Watch. „Mehr Transparenz bei der finanziellen Unterstützung würde dabei helfen, herauszufinden, welcher Bedarf nicht gedeckt wird, so dass dies konkret angesprochen werden kann und alle betroffenen Kinder eine Schulbildung erhalten.“

Geber und die Nachbarstaaten Syriens, die Flüchtlinge aufnehmen, haben bei der Konferenz in London gemeinsam beschlossen, syrischen Flüchtlingskindern bis zum Ende des Schuljahres 2016/2017 den Zugang zu einer „guten Schulbildung“ zu ermöglichen und die entsprechenden Finanzmittel hierfür aufzubringen. Laut der sechs Geber, die das meiste Geld hierfür zugesichert hatten – die Europäische Union, die USA, Deutschland, Großbritannien, Japan und Norwegen – übertrafen allein ihre Finanzhilfen die geplante Summe für 2016 von 1,4 Milliarden US-Dollar für Bildung in Syrien selbst und in den Aufnahmeländern der Region. Dennoch waren die Bildungsetats in den Aufnahmeländern massiv unterfinanziert.

In verschiedenen Mechanismen zur Nachverfolgung der Finanzhilfen wurden eklatant unterschiedliche Summen an Bildungshilfen dokumentiert und die meisten öffentlichen Informationen waren zu unpräzise oder unklar, um die Hilfsmittel eines bestimmten Gebers bis zu den Bildungsprojekten eines konkreten Aufnahmelandes nachzuverfolgen. Viele der versprochenen Gelder kamen erst nach Beginn des Schuljahres an, zu spät, um die Kinder, denen die Mittel zugute kommen sollten, in einer Schule anzumelden. In einigen Fällen hatten Geber zugesicherte Mittel doppelt gezählt. 

Es sind detailliertere, umfassende Informationen zu dem Verbleib von Bildungsgeldern nötig, um festzustellen, ob die Geber ihren Zusicherungen nachgekommen sind und die entsprechenden Hilfen rechtzeitig zur Verfügung gestellt haben.Gleiches gilt für die Frage, ob die Gelder tatsächlich dafür eingesetzt werden, um die größten Hürden aus dem Weg zu räumen, die einer Schulbildung von syrischen Flüchtlingskindern im Weg stehen. Die Geber, die umsetzenden Stellen und die Regierungen der Aufnahmeländer benötigen diese Informationen, um ihre Bemühungen zu koordinieren und Lücken sowie Überschneidungen bei den Finanzhilfen zu vermeiden.

Die Geber haben 250 Millionen US-Dollar für Bildung in Jordanien und 350 Millionen US-Dollar im Libanon für das Jahr 2016 zugesichert. Zudem kamen sie überein, dass der Großteil der Finanzhilfen vor Beginn des Schuljahres zur Verfügung gestellt werden müsse, um damit Lehrer einzustellen, Bücher zu kaufen und Lehrpläne zu erstellen. Anfang September 2016 fehlten Jordanien jedoch noch 171 Millionen US-Dollar, dem Libanon sogar 181 Millionen. Auch zum Ende des Kalenderjahres gab es immer noch Versorgungslücken: in Jordanien fehlten noch 41 Millionen US-Dollar, im Libanon waren es 97 Millionen.

Im Jahr 2016 erhielt die Türkei etwa 742 Millionen US-Dollar an Finanzhilfen für Bildung. Hauptgeber war hier die Europäischen Union. Die entsprechenden UN-Stellen in der Türkei erhielten jedoch nur 111 Millionen US-Dollar, obwohl sie 137 Millionen an Hilfsmitteln für Bildung beantragt hatten. Laut verschiedener Berichte kamen bis zum Beginn des Schuljahres lediglich zwischen 14,7 und 46 Millionen US-Dollar an.   

Der Libanon, Jordanien und die Türkei unterschätzen ihrerseits vermutlich die Zahl der syrischen Kinder, die eine Schulbildung benötigen. Es werden lediglich jene Syrer gezählt, die als Flüchtlinge registriert sind. Es gibt jedoch knapp eine Million Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien, die nicht registriert sind. Zudem ist die angegebene Zahl der in Schulen angemeldeten Kinder möglicherweise zu hoch. Jordanien hat die Datenerfassung zwar verbessert, jedoch waren laut offiziellen Angaben 45.000 Kinder weniger im Schuljahr 2016/2017 in Schulen angemeldet als zuvor angegeben.  

Die EU war mit 776 Millionen US-Dollar (EUR 739 Millionen) der größte Geber 2016 für Bildung in Jordanien, im Libanon und in der Türkei. Die EU-Hilfsmittel flossen hierbei durch drei unterschiedliche Kanäle: die Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission, die EU-Flüchtlingseinrichtungen in der Türkei und den Regionalen Treuhandfonds der EU als Reaktion auf die Syrien-Krise. Die ersten zwei Stellen berichteten detailliert über die Finanzmittel, der Treuhandfonds tat dies jedoch nicht. Zwar soll ein EU-Datenportal sämtliche EU-Hilfen erfassen, es waren jedoch nur vier Bildungsprojekte für das Jahr 2016 in Jordanien, im Libanon und in der Türkei erfasst, obwohl es viel mehr Projekte gab.  

Die US-Regierung gab Human Rights Watch gegenüber an, sie habe im Haushaltsjahr 2016 1,4 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfen für Syrien und die Region zur Verfügung gestellt. Es ist jedoch unklar, wie viel hiervon tatsächlich der Bildung von Flüchtlingskindern zugute kam. Die US-Agentur für Internationale Entwicklung berichtete, sie habe 248 Millionen Dollar für Bildung in Jordanien gezahlt. Die Datenbank des Ministeriums erfasste jedoch lediglich 82 Millionen Dollar. Laut einer Datenbank der jordanischen Regierung erhielt das Land 2016 lediglich 13 Millionen Dollar aus den USA für Bildung.

Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verpflichtete sich zu einer Zahlung von 249 Millionen US-Dollar (EUR 237,1 Millionen) für Bildung. Das Ministerium arbeitet zwar transparent, die veröffentlichten Informationen sind jedoch unzureichend. So enthalten sie beispielsweise keine Angaben, wann die Gelder ausgezahlt wurden. Das Ministerium führt dies auf seine IT-Infrastruktur zurück.

Großbritannien stellte 2016 durch das Ministerium für Internationale Entwicklung (DFID) 81,8 Millionen US-Dollar (GBP 57,2 Millionen) für Bildung in Jordanien und im Libanon zur Verfügung. Großbritannien veröffentlichte detaillierte Informationen darüber, wann diese Hilfen geleistet wurden und welche Projekte damit finanziert werden sollten. 

Norwegen stellte 2016 mindestens 31,9 Millionen US-Dollar (NOK 266 Millionen) für die Bildung in Jordanien, im Libanon und in der Türkei zur Verfügung. Norwegen veröffentlichte zwar detaillierte Informationen hierzu, die entsprechenden Daten zu den Finanzhilfen sollten jedoch gemäß einem einheitlichen Standard veröffentlicht werden, das dem der International Aid Transparency Initiative entspricht. Hierbei handelt es sich um ein gemeinsam vereinbartes, einheitliches Format. Das Norwegische Amt für Entwicklungszusammenarbeit (NORAD) gab an, die Informationen bis Dezember 2015 in diesem Format zur Verfügung zu stellen. Bis Juli 2017 wurden jedoch keine Daten veröffentlicht.  

Das japanische Außenministerium gab an, Japan habe 2016 25,5 Millionen US-Dollar für die Bildung in Jordanien, im Libanon und in der Türkei bereitgestellt. Es sind jedoch zu wenig Informationen öffentlich verfügbar, um festzustellen, ob diese Gelder wirklich gezahlt wurden oder wofür sie verwendet wurden.

Human Rights Watch hat ausführlich über die Hürden beim Zugang zu Bildung in der Türkei, im Libanon und in Jordanien berichtet. Dazu gehört, dass Ausgaben für den Schulbesuch von den Flüchtlingsfamilien häufig nicht getragen werden können, ihre Armut noch verschlimmern und den Zugang zu Bildung für Flüchtlingskinder somit beschränken. Eine bessere Transparenz bei der Bildungsfinanzierung könnte dabei helfen, die Gründe für verfehlte Ziele und die dafür Verantwortlichen zu identifizieren. Diese könnten dann gedrängt werden, die Lage zu verbessern. Auch könnte genau festgestellt werden, wie viel Verantwortung die Politik in den Aufnahmeländern – im Gegensatz zu unzureichenden Hilfsmitteln - dafür trägt, dass Kinder nicht zur Schule gehen.

„Trotz der weltweiten Sorge um syrische Flüchtlingskinder ist es nicht möglich, Antworten auf grundlegende Fragen zu finden, beispielsweise ob sie grundlegende Bildung erhalten“, so Rau. „Die Geber müssen die Intransparenz beenden, die ihre Unterstützung für syrische Kinder untergräbt. Die Kinder können nicht länger auf den Beginn ihrer Schulbildung warten.“

 

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