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Sicherheitskräfte überwachen den Tahrir Platz am 5. Jahrestag des Aufstands, durch den die 30-jährige Herrschaft Hosni Mubaraks beendet wurde, Kairo, Ägypten. © 2016 Mohamed Abd El Ghany/Reuters
 
(Beirut) – Die ägyptische Regierung unter Präsident Abd al-Fattah al-Sisi ging im Jahr 2017 zügellos gegen alle Formen von Dissens vor, so Human Rights Watch im heute veröffentlichten World Report 2018. Während die nationale Sicherheit immer wieder bedroht war und Anschläge bewaffneter Gruppen das Land erschütterten, führte die Regierung eine Reihe repressiver Gesetze ein, rief erneut den menschenrechtswidrigen Staatsnotstand aus und stellte Tausende Zivilisten vor Militärgerichte, die genau wie Zivilgerichte nach unfairen Prozessen unzählige Todesurteile erließen.

Wahrscheinlich wird es keinen ernsthaften Konkurrenten für al-Sisi bei den voraussichtlich im März und April stattfindenden Präsidentschaftswahlen geben, der ihm seine zweite Amtszeit streitig machen könnte. Die Regierung kontrolliert die Medien des Landes, unterdrückt kritische Journalisten und Aktivisten und geht massiv gegen die Versammlungsfreiheit vor. Die Grundvoraussetzung für faire Wahlen ist deshalb de facto nicht gegeben.

„Al-Sisis wichtigste ‚Leistung‘ im Jahr 2017 ist es, durch Gewalt und Unterdrückung die Rechtsstaatlichkeit und die friedliche Opposition ausgeschaltet zu haben“, so Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher Osten bei Human Rights Watch. „So wie die Dinge stehen, wird die Regierung weiter die legitimen Bestrebungen und Rechte ihrer Bürger gewaltsam ersticken.“

„In dem 643-seitigen World Report, der in diesem Jahr zum 28. Mal erscheint, fasst Human Rights Watch die wichtigsten Entwicklungen beim Menschenrechtsschutz in mehr als 90 Ländern weltweit zusammen. In seiner Einleitung schreibt Executive Director Kenneth Roth, dass Politiker, die sich für die Menschenrechte einsetzten, gezeigt haben, dass autoritäre Populisten in die Schranken gewiesen werden können. War dies verbunden mit einer mobilisierten Öffentlichkeit und wirksamem Handeln multilateraler Akteure, bewies dieser Einsatz, dass der Aufstieg rechtsextremer Regierungen nicht unausweichlich ist.“

Die Nationale Sicherheitsagentur (NSA) des Innenministeriums, die mit beinahe absoluter Straflosigkeit agiert, war verantwortlich für einige der erschreckendsten Menschenrechtsverletzungen im Jahr 2017. Sie setzte etwa landesweit und systematisch Folter ein, um Geständnisse zu erzwingen, in der Regel nachdem Sicherheitskräfte Gefangene verschleppt hatten. Zudem gab es mehrere Vorfälle außergerichtlicher Hinrichtungen, auch von ehemals inhaftierten Personen bei fingierten „Schießereien“.

Nach Bombenanschlägen auf Kirchen am Palmsonntag, zu denen sich der Islamische Staat (auch bekannt als ISIS) bekannte und bei denen 47 Personen starben, rief al-Sisi im April den Staatsnotstand aus. Bis Januar verlängerte er diesen dreimal. Das Notstandsgesetz aus dem Jahr 1958 verleiht den Sicherheitskräften uneingeschränkte Rechte, Personen zu verhaften und zu inhaftieren, und ermöglicht es der Regierung, die Medien zu zensieren und Zwangsräumungen anzuordnen. Zudem wandten die Behörden menschenrechtswidrige Anti-Terror-Gesetze an, um Hunderte Personen ohne ordentliche Verfahren wegen angeblicher Verbindungen zu Terroristen auf Listen zu setzen und ihre Vermögen zu beschlagnahmen.

Darüber hinaus ratifizierte al-Sisi im Mai ein neues Versammlungsgesetz, das bei seiner Umsetzung unabhängigen Gruppen selbst den begrenzten Raum nehmen könnte, der ihnen bislang noch bleibt. Das Gesetz kriminalisiert die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und sieht lange Gefängnisstrafen bei Verstößen vor, etwa bei der Verwaltung oder dem Erhalt von Geldern aus dem Ausland ohne Genehmigung der Regierung.

Im Oktober setzte die Regierung die berüchtigten Sicherheitsgerichte für die Zeit des Staatsnotsstandes wieder ein, gegen deren Entscheidungen keine Berufung eingelegt werden kann. Die Behörden verwiesen politische Gefangene an diese Gerichte, auch für geringfügige Vergehen.

Militärstaatsanwälte führten Militärprozesse gegen Hunderte Zivilisten, auch gegen Kinder. Innerhalb von drei Jahren erhöhte sich die Zahl der Zivilisten, gegen die in Militärverfahren vorgegangen wurde, auf mehr als 15.000. Im Jahr 2017 erhielt das Kassationsgericht Todesurteile gegen mindestens 22 Personen aufrecht, das höchste militärische Appellationsgericht bestätigte 19 Todesurteile. Die Verurteilten wurden später hingerichtet.

Die Regierung hielt etwa 17 Journalisten weiter in Haft fest und sperrte Hunderte Nachrichtenseiten, auch die von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Reporter Ohne Grenzen.

Allein im Jahr 2017 verhafteten oder verklagten die Behörden mindestens 57 Arbeitnehmer wegen friedlicher Arbeitsniederlegungen oder Proteste. Außerdem verhafteten Sicherheitskräfte mindestens 75 Homosexuelle und Transgender sowie Aktivisten, von denen mehr als 40 bereits Gefängnisstrafen erhalten haben.

Auch die Militärkampagne der Regierung auf dem Nordsinai war von weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen geprägt, darunter geheime Inhaftierungen, außergerichtliche Hinrichtungen und Militärprozesse gegen Zivilisten. Im April wurde ein Video veröffentlicht, dessen Authentizität bestätigt wurde und das Offiziere der Armee und Angehörige von regierungsfreundlichen Milizen bei der Hinrichtung von Gefangenen zeigt, deren Augen verbunden waren. Angehörige des ISIS-Ablegers Wilayat Sinai griffen Zivilisten an, die sie als Kollaborateure oder Christen betrachteten, sowie Sicherheitskräfte. Im November starben mindestens 300 Zivilisten bei einem Anschlag auf eine Moschee nahe al-Arisch, der möglicherweise von ISIS verübt wurde. Wegen der wiederholten Anschläge auf Christen in diesem Gouvernement flohen Hunderte christliche Familien aus der Region.

Die internationalen Verbündeten der ägyptischen Regierung kritisierten die schweren Menschenrechtsverletzungen nur selten öffentlich. Allerdings strichen die USA im August 100 Millionen US$ und hielten weitere 195 Millionen US$ ihrer Entwicklungshilfe für Ägypten zurück und begründeten dies mit Menschenrechtsverletzungen.

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