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Eine Demonstration von Frauen am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen wird von Polizisten gestoppt, Istanbul, 25. November 2018. © 2018 Dilara Şenkaya/Bianet © 2018 Dilara Şenkaya/Bianet
(Berlin) – Das Ende des Ausnahmezustands in der Türkei ändert nichts an der repressiven Regierungsführung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, so Human Rights Watch im heute veröffentlichten World Report 2019. Übermäßig lange und willkürliche Inhaftierungen von Oppositionellen unter fingierten Terrorismusanklagen sind in der Türkei zur Norm geworden.

Die türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 fanden in einem Klima der Medienzensur statt. Einige Mitglieder des Parlaments und ein Präsidentschaftskandidat wurden inhaftiert. Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) kontrolliert in einer Koalition weiterhin das geschwächte Parlament. Erdoğan wurde wiedergewählt. Mit der Wahl trat das Präsidialsystem vollständig in Kraft, das im Jahr 2017 in einem Verfassungsreferendum bestätigt wurde.

„Jede Hoffnung hat sich zerschlagen, dass die Türkei mit dem Ende des Ausnahmezustands vor sechs Monaten zur Achtung der Menschenrechte zurückkehren würde“, so Hugh Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Die Jagd der Erdoğan-Regierung auf ihre Kritiker und andere Oppositionelle zerstört die Rechtsstaatlichkeit und stellt die Gerechtigkeit auf den Kopf.“

In dem 674-seitigen World Report 2019, der 29. Ausgabe des Berichts, gibt Human Rights Watch einen Überblick über die Menschenrechtslage in mehr als 100 Ländern. In seiner Einleitung zeigt Executive Director Kenneth Roth, dass die in vielen Ländern auf Hass und Intoleranz bauenden Populisten auf Widerstand stoßen. Neue Allianzen von Regierungen, die die Menschenrechte schützen wollen und von der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit unterstützt werden, machen es den Autokraten immer schwieriger, ihre Botschaft zu verbreiten. Diese Erfolge machen deutlich, wie die Menschenrechte verteidigt werden können und müssen – selbst in dunklen Zeiten.

Die türkischen Gerichte sind nicht unabhängig und scheuen sich nicht, Regierungskritiker und Oppositionelle einzusperren, während die Behörden fingierte Terrorismusermittlungen und -prozesse gegen sie anstrengen. Der verbreitete Missbrauch von Anti-Terror-Gesetzen gegen Regierungsgegner unterminiert die legitimen Bemühungen, die Verantwortlichen für den versuchten Militärputsch im Jahr 2016 strafrechtlich zu verfolgen.

Mehrere politisch motivierte Prozesse endeten im Jahr 2018 mit Schuldsprüchen. Ein Gericht verurteilte die bekannten Journalisten Ahmet Altan, Mehmet Altan und Nazlı Ilıcak zu lebenslanger Haft ohne Bewährung. Sie hatten einen politischen Kommentar verfasst, der nicht zu Gewalt aufrief, den das Gericht allerdings als Versuch wertete, die Regierung zu stürzen.

Die Behörden verschärften ihr Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger. Unter anderem leiteten sie eine neue Untersuchung im Zusammenhang mit den Massendemonstrationen gegen die Regierung im Jahr 2013 in Istanbul ein, die als Gezi-Proteste bekannt wurden. Einer der Hauptziele war ein widerrechtlich inhaftierter Geschäftsmann und Vorsitzender einer Kulturorganisation, Osman Kavala.

Die Regierung widersetzte sich einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach der Oppositionspolitiker Selahattin Demirtaş aus der Haft entlassen werden muss. Demirtaş befindet sich seit über zwei Jahren in Willkürhaft, gemeinsam mit anderen ehemaligen Parlamentariern und gewählten Bürgermeistern prokurdischer Parteien. Während im März 2019 Kommunalwahlen stattfinden sollen, ist auf kommunaler Ebene im Südosten des Landes die Demokratie ausgesetzt. Die Regierung kontrolliert 94 Gemeinden in der Region, seit sie die gewählten Vertreter der kurdischen Bevölkerung entmachtet hat.

Der World Report 2019 geht auch auf Einschränkungen des Rechts auf friedlichen Protest und Versammlung ein sowie auf Angriffe gegen die Freiheit der Wissenschaften und ausbleibende Ermittlungen bei Vorwürfen von Polizeigewalt in Haft. Derweil leben in der Türkei die meisten Flüchtlinge weltweit. 

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