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Afghanistan: Von CIA unterstützte Einheiten verüben Gräueltaten

Menschenrechtler fordern Auflösung aller irregulären paramilitärischen Kräfte und Kooperation mit unabhängiger Untersuchung

© 2019 Stefanie Glinski

(New York) –  Afghanische Einheiten, die vom US-Geheimdienst CIA unterstützt werden, haben standrechtliche Hinrichtungen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen verübt und wurden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Bei ihren nächtlichen Kommandounternehmen verstießen sie gegen das Völkerrecht, indem sie Zivilisten töteten. Sie griffen zudem Gesundheitseinrichtungen an, in denen mutmaßlich aufständische Kämpfer behandelt wurden. Die zivilen Schäden der Angriffe und Luftoperationen haben in den vergangenen zwei Jahren drastisch zugenommen.

Der 53-seitige Bericht „‘They’ve Shot Many Like This’: Abusive Night Raids by CIA-Backed Afghan Strike Forces“ dokumentiert 14 Fälle im Zeitraum von Ende 2017 bis Mitte 2019, in denen afghanische Kampftruppen, die von der CIA unterstützt werden, schwere Menschenrechtsverletzungen verübten, welche teilweise Kriegsverbrechen darstellen. Die USA sollten gemeinsam mit der afghanischen Regierung dafür sorgen, alle paramilitärischen Kräfte, die außerhalb der Befehlskette der regulären Streitkräfte operieren, unverzüglich aufzulösen. Ferner sollten sie mit unabhängigen Untersuchungen kooperieren, die allen Anschuldigungen wegen Kriegsverbrechen und anderer Menschenrechtsverletzungen nachgehen.

„Im Zuge der Intensivierung ihrer Operationen gegen die Taliban hat die CIA es verbrecherischen afghanischen Kräften ermöglicht, Gräueltaten wie standrechtliche Hinrichtungen und Verschleppungen zu verüben“, so Patricia Gossman, stellvertretende Direktorin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Immer wieder haben die Kämpfer Gefangene einfach erschossen und ganze Gemeinden dem Schrecken nächtlicher Razzien und wahlloser Luftangriffe unterworfen.“

Der Bericht stützt sich auf die Interviews mit 39 ortsansässigen Personen und anderen Augenzeugen der nächtlichen Operationen in den Provinzen Ghazni, Helmand, Kabul, Kandahar, Nangarhar, Paktia, Uruzgan, Wardak und Zabul sowie Befragungen afghanischer Menschenrechtler, welche die Operationen dokumentiert haben.

Seit 2001 unterhält die CIA eine Operation zur Terrorismusbekämpfung in Afghanistan, die parallel zum Einsatz des US-Militärs verläuft, jedoch von ihr getrennt erfolgt. Seither hat die CIA fortwährend afghanische Paramilitärs rekrutiert, ausgerüstet, ausgebildet und eingesetzt, um Al-Qaida- und Tabilan-Kämpfer zu verfolgen. Seit 2014 nimmt die Operation auch Kämpfer mit Verbindungen zum Islamischen Staat (ISIS) ins Visier.

Die nächtlichen Razzien dieser Kampfeinheiten sollten zur Festnahme oder Tötung Aufständischer führen. Sie erfolgten vorwiegend in ländlichen Gebieten, die unter der Kontrolle der Taliban standen bzw. umkämpft waren. Dabei drangen die Verbände in Wohngebäude ein, durchsuchten Wohnungen und verhörten ihre Bewohner. Männer wurden festgenommen und inhaftiert, ohne ihre Angehörigen über ihren Verbleib zu informieren. Andere wurden standrechtlich erschossen.

Bei mehreren nächtlichen Razzien, die Human Rights Watch untersucht hat, wurden Zivilisten angegriffen, weil die Identität der Personen nicht richtig festgestellt worden war, die Geheimdienstinformationen nicht eindeutig waren oder es lokalpolitische Rivalitäten gab. Die Einheiten griffen teilweise sogar Häuser an, in denen Angehörige von Personen lebten, die laut Geheimdienstinformationen Nahrungsmittel an Taliban- oder ISIS-Kämpfer geliefert hatten, selbst wenn dies unter Zwang geschehen war.

Ein Bewohner der Provinz Wardak erklärte gegenüber Human Rights Watch, die Angriffsverbände hätten „das Tor unseres Grundstücks mit einem Sprengsatz zerstört. Sie töteten einen meiner Söhne hinter dem Haus und nahmen die anderen mit. Sie beschuldigten uns: ‚Warum gebt ihr den Taliban Essen?‘ Aber die Taliban kommen und fragen nach Lebensmitteln. Wenn man sie ihnen nicht gibt, wird man schikaniert.“

Im August 2019 tötete eine paramilitärische Einheit in der Provinz Paktia acht Männer, die ihre Familien anlässlich der Feiertage zum Islamischen Opferfest besuchten, sowie drei weitere Männer im selben Dorf. Augenzeugen gaben an, keiner der Männer habe vor den tödlichen Schüssen irgendeine Form von Gegenwehr gezeigt. Die Einheiten fügten auch einem 60-jährigen Stammesältesten tödliche Schussverletzungen im Bereich der Augen zu. Seinem Neffen, einem Studenten im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, schossen sie in den Mund. 

Afghanische Dorfälteste, Mitarbeiter von Gesundheitseinrichtungen und andere Befragte gaben an, die gewaltsamen Razzien gehörten für viele Dorfgemeinschaften mittlerweile zum Alltag. Dies hat verheerende Konsequenzen. Ein Diplomat, der mit den Operationen der Angriffsverbände vertraut ist, beschrieb diese als „Todesschwadronen“. 

Die nächtlichen Razzien wurden häufig von Luftangriffen begleitet, welche wahllos bzw. in unverhältnismäßigem Ausmaß afghanische Zivilisten töteten. Die drastische Zunahme der zivilen Opfer durch US-Luftschläge im vergangenen Jahr könnte auf Änderungen der taktischen Direktiven zurückzuführen sein. Diese beseitigten Maßnahmen zur Reduktion ziviler Schäden, darunter Einschränkungen für Luftangriffe auf Wohngebäude. Die Regierungen der USA und Afghanistans haben die mutmaßlich völkerrechtswidrigen Luftangriffe in Afghanistan nicht angemessen untersucht. In einem von Human Rights Watch untersuchten Fall tötete ein Luftangriff in Nangarhar, der von afghanischen Paramilitärs angefordert worden war, mindestens 13 Zivilisten aus zwei Familien, darunter mehrere Kinder.

„Die Regierungen der USA und Afghanistans sollten mit einer unabhängigen Untersuchung dazu kooperieren“, so Gossman. „Dies sind keine isolierten Fälle, sondern Anzeichen dafür, dass die paramilitärischen Einheiten systematisch schwere Kriegsrechtsverletzungen bis hin zu Kriegsverbrechen verüben.“

Bei nächtlichen Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen beschädigten Angriffsverbände medizinische Ausrüstung und griffen medizinische Angestellte und zivile Pflegekräfte an, teilweise mit tödlicher Gewalt. Im Juli drang eine Einheit gewaltsam in eine Klinik in der Provinz Wardak ein, beschuldigte das Personal, Taliban-Kämpfer behandelt zu haben, und tötete zwei Pfleger, einen Wachmann und einen Labormitarbeiter. 

Das Kriegsrecht schützt Patienten, auch verletzte Kämpfer, sowie alle medizinischen Angestellte vor Angriffen. Medizinische Einrichtungen dürfen zwar durchsucht werden, um sicherzustellen, dass sie tatsächlich medizinischen Zwecken dienen. Doch es ist völkerrechtswidrig, den Betrieb der Einrichtungen zu stören oder medizinische Ausrüstung zu konfiszieren. 

Taliban-Einheiten haben immer wieder Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen verübt, darunter wahllose Angriffe, die zahlreiche Zivilisten verletzten oder töteten. Die Gräueltaten der Taliban rechtfertigen jedoch in keinem Fall die Vergehen der afghanischen Regierung oder der USA. 

Die afghanische Regierung sollte alle mutmaßlichen Vergehen der afghanischen Sicherheitskräfte unabhängig untersuchen lassen, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgen. Sämtliche paramilitärische Einheiten, die außerhalb der normalen Befehlsketten operieren, sollen entwaffnet und aufgelöst werden. Die US-Regierung sollte gegen alle US-Mitarbeiter ermitteln, die an den Vergehen beteiligt waren. Zudem soll sie die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen und allen afghanischen Einheiten, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, ihre Unterstützung entziehen.

„In unzähligen Fällen haben von der CIA unterstützte afghanische Einheiten die Bestimmungen zum Schutz von Zivilisten und Gefangen missachtet und Kriegsverbrechen verübt“, so Gossman. „Die Regierungen der USA und Afghanistans müssen dem ein Ende setzen und alle irregulären Streitkräfte auflösen.“

Am 30. Oktober 2019 antwortete die CIA mit einer Stellungnahme auf den Bericht von Human Rights Watch.

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