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(New York) – Die seit 2017 zunehmenden Angriffe islamistischer Gruppen auf Lehrer, Schüler und Schulen in Burkina Faso haben katastrophale Folgen für den Zugang von Kindern zu Bildung, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

In dem 102-seitigen Bericht „‚Their War Against Education‘: Armed Group Attacks on Teachers, Students, and Schools in Burkina Faso“ werden für den Zeitraum von 2017 bis 2020 zahlreiche bewaffnete Überfälle durch islamistische Gruppierung auf Bildungseinrichtungen in sechs der insgesamt 13 Regionen des Landes dokumentiert. Lehrkräfte wurden geschlagen, bedroht, entführt und ermordet und Schüler eingeschüchtert. Eltern wagten aufgrund von Drohungen nicht länger, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und viele Schulgebäude wurden beschädigt, geplündert und zerstört.

„Bewaffnete islamistische Gruppen, die in Burkina Faso Lehrer, Schüler und Schulen angreifen, begehen nicht nur Kriegsverbrechen. Sie machen damit auch jahrelange Fortschritte zunichte, die beim Zugang von Kindern zu Bildung erreicht worden sind“, sagt Lauren Seibert, Autorin des Berichts und Kinderrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Die Burkinabè-Regierung sollte diese Angriffe untersuchen, sicherstellen, dass die Kinder wieder zur Schule können, und dem betroffenen Lehrpersonal entsprechende Unterstützung zukommen lassen.“

Von Dezember 2019 bis April 2020 sprach Human Rights Watch mit mehr als 170 Personen, darunter 74 Lehrkräften, 35 aktuellen und ehemaligen Schülern sowie anderen Zeugen der Angriffe, Eltern der Schüler, Familienmitgliedern der Opfer, lokalen Führungspersönlichkeiten, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, Fachleuten und Regierungsbeamten.

Mit Al-Qaida und dem Islamischen Staat verbündete Islamisten begannen im Jahr 2017, Lehrkräfte und Schulen in Burkina Faso anzugreifen, und beriefen sich dabei auf ihren Widerstand gegen eine „französische“ – also westlich geprägte, säkulare – Bildung und staatliche Institutionen. Seitdem haben die Angriffe jedes Jahr an Intensität gewonnen.

Human Rights Watch dokumentierte insgesamt 126 Angriffe und Drohungen durch Bewaffnete gegen Lehrkräfte, Schüler und Schulen, mehr als die Hälfte davon allein 2019. In den Medien und darüber hinaus wurden weitere Vorfälle erwähnt, weshalb von einer noch höheren Dunkelziffer auszugehen ist.

Bei den dokumentierten Vorfällen wurden mindestens 12 Lehrkräfte ermordet und weitere 17 überfallen oder entführt, viele weitere wurden zwangsweise festgehalten und bedroht. Lehrkräfte und Schulleiter beschrieben, mit verbundenen Augen angekettet oder angebunden und schließlich geschlagen worden zu sein. Ihre Habseligkeiten seien gestohlen oder verbrannt worden. Unter den Toten befinden sich fünf Lehrkräfte, die an einer Grundschule erschossen wurden. Eine Lehrkraft und ein Schulleiter fand man zu Hause erschossen. Vier Lehrkräfte und Schulleiter wurden erst entführt und dann ermordet, zwei von ihnen enthauptet. Ein ehrenamtlich tätiger Lehrer im Ruhestand wurde niedergeschossen, als er Kinder unterrichtete.

Obgleich die islamistischen Gruppierungen ihre Gewalt bislang nicht gegen Kinder an Schulen zu richten scheinen, verbreiteten sie unter Schülern und Lehrkräften durchaus Angst und Schrecken, indem sie häufig in die Luft schossen. „Ich hatte wirklich Angst. Ich dachte, sie kamen, um uns zu töten“, erinnert sich ein Schüler. Im Jahr 2018 starb ein 14-jähriges Mädchen an einem Querschläger. Und als im Januar 2020 eine Bombe unter einem Bus detonierte, gehörten zu den 14 Toten auch sieben Schüler, die gerade aus den Ferien zurückkehrten.

In mindestens 84 der dokumentierten Fälle beschädigten oder plünderten Bewaffnete die Schule. Darunter fallen auch das Niederbrennen von Schulinfrastruktur und Lernmaterialien, das Zünden von Sprengkörpern, das Abgeben von Schüssen auf dem Schulgelände und die Plünderung von Vorräten aus den Schulkantinen.

Bereits vor den im Zuge der Covid-19-Pandemie von der Burkinabè-Regierung erlassenen landesweiten Schulschließungen Mitte März hatten etwa 2.500 Schulen aufgrund von Angriffen oder der verbreiteten Unsicherheit geschlossen, womit 350.000 Schüler/-innen der Zugang zu Bildung verwehrt blieb.

„Alle Schulen hier sind [wegen der Angriffe und der Unsicherheit] geschlossen“, sagte eine Lehrkraft im Dorf Namssiguia, in der Region Centre-Nord, im Februar. „Wir beten dafür, dass die Situation sich verbessert und die Kinder wieder in die Schule können, denn sie leiden sehr darunter.“

Die Anwendung von Gewalt durch bewaffnete islamistische Gruppen in Burkina Faso – und durch Selbstverteidigungsmilizen und Sicherheitskräfte der Regierung, die sich dagegen wehren – hat seit dem Auftauchen der bewaffneten islamistischen Burkinabè-Gruppe Ansaroul Islam im Jahr 2016 stetig zugenommen. Ein Anstieg in der Zahl der Angriffe in 2019 setzte sich auch in diesem Jahr fort. In der Folge wurden mehr als 830.000 Menschen von ihrem Zuhause vertrieben.

In der Zeit zwischen Mitte 2017 und Mitte 2019 erlebten die Länder in der zentralen Sahelzone, Burkina Faso, Mali und Niger, einen Anstieg an Schulschließungen um das Sechsfache aufgrund von Angriffen und der verbreiteten Unsicherheit. Bis Anfang 2020 hatte Burkina Faso mehr Schulschließungen zu verzeichnen als Mali (1.261) und Niger (354) zusammengenommen.

Ein weiteres Risiko für die Schulinfrastruktur entsteht aus der Nutzung von Schulen für militärische Zwecke, etwa in Form der Umwandlung von Schulen in Militärbasen. Human Rights Watch dokumentierte zehn Fälle, in denen Burkinabè-Sicherheitskräfte Schulen als Stützpunkt nutzten, sowie sechs Fälle, in denen Bildungseinrichtungen durch bewaffnete islamistische Gruppen in Beschlag genommen wurden. Ebenso kam es bei vier Schulen während oder nach der Übernahme durch das Burkinabè-Militär zu islamistischen Angriffen.

Für Schüler und Lehrkräfte haben die Angriffe weitreichende Folgen, einschließlich Fällen von Trauma und psychischen Erkrankungen, Schulabbrüchen, Gefahren für Kinder auf dem Weg zur neuen Schule und, im Fall von Kindern, die nicht zur Schule gehen dürfen, vermehrt Kinderarbeit und für Mädchen die Gefahr von Kinderehen.

Im Jahr 2017 unterzeichnete Burkina Faso die „Safe Schools Declaration“, eine politische Vereinbarung, nach der sich Staaten verpflichten, Angriffen auf Schüler, Lehrkräfte und Schulen vorzubeugen und auf diese zu reagieren. Die Regierung hat seitdem zahlreiche positive Maßnahmen ergriffen, darunter die Wiedereröffnung geschlossener Schulen, den Einsatz von Lehrkräften an anderen Orten und die Schaffung einer nationalen Strategie und einer Dienststelle zum Thema Bildung in Notlagen. Als Teil ihrer Covid-19-Bildungsoffensive erweiterte die Regierung erst kürzlich ihre Programme für das Fernstudium, die zuvor auf bestimmte Konfliktregionen beschränkt waren, auf landesweit ausgestrahlte Fernseh- und Radiosender.

Die Regierung sollte jedoch dringend alle Maßnahmen ergreifen, die wegen der Angriffe auf die Bildung erforderlich sind. Sie sollte sicherstellen, dass Betroffene schnell psychosozial und finanziell unterstützt werden, die Unterstützung von überfüllten „Gastschulen“ ausdehnen, vertriebene Schüler aufnehmen, Programme ausweiten, mit denen mehr Kinder in Konfliktregionen „Bildung in Notlagen“ erhalten können, die Sicherheit an Schulen in Konfliktregionen verbessern und die militärische Nutzung von Schulen einschränken. Es sollte untersucht werden, ob es sich bei den Angriffen um Kriegsverbrechen handelt und die Verantwortlichen müssen entsprechend strafrechtlich verfolgt werden.

Geberländer sollten es in Betracht ziehen, Programme zur „Bildung in Notlagen“ sowie Rehabilitationsmaßnahmen für Betroffene zu unterstützen, einschließlich psychosozialer Unterstützung für Lehrkräfte und Schüler, die Angriffen ausgesetzt waren.

„Der brutale Angriff auf die Bildung durch bewaffnete islamistische Gruppierungen in Burkina Faso hat Lehrkräften ihr Leben, ihren Lebensunterhalt und ihre körperliche und geistige Gesundheit gekostet und Hunderttausenden von Kindern ihre Zukunft geraubt“, so Seibert. „Diese Angriffe müssen aufhören.“

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