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Ägypten: Kein Ende der ausufernden Repression

Behörden gehen ungestraft gegen Kritiker vor und zerstören bürgerliche Freiräume

Ägyptische Sicherheitskräfte sperren Straßen während der Ausgangssperre als Präventionsmaßnahme in der Coronakrise, in Kairo, Ägypten, Sonntag, 29. März 2020. © AP Photo/Nariman El-Mofty

(Beirut) – Die ägyptischen Behörden haben im vergangenen Jahr die Unterdrückung friedlicher Regierungskritiker und gewöhnlicher Bürger intensiviert und praktisch jeden Raum zur friedlichen Versammlung, Vereinigung oder Meinungsäußerung zerstört, so Human Rights Watch im heute veröffentlichten World Report 2021.

Das Parlament billigte das vierte Jahr in Folge die Verlängerung des landesweiten Ausnahmezustands durch Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Die Behörden benutzten die Covid-19-Pandemie als Vorwand, um Kritiker zum Schweigen zu bringen, darunter Mediziner, Journalisten und Blogger. Sie verlängerten die Untersuchungshaft Hunderter, wenn nicht Tausender Personen ohne richterliche Prüfung. Im Mai billigte Präsident al-Sisi eine Änderung des Notstandsgesetzes, mit der die Befugnisse der Exekutive ausgeweitet werden. Der Ausbruch von Covid-19 führte zu einer Verschlechterung der ohnehin katastrophalen Bedingungen in den Haftanstalten. Von März bis August wurden Gefangenenbesuche verboten, ohne dass es alternative Kommunikationswege gab. Dutzende Gefängnisinsassen starben, in mindestens 14 Fällen an Covid-19.

„Zehn Jahre nachdem die Ägypter Hosni Mubarak gestürzt haben, leben sie heute in dem noch unerbittlicheren und erstickenden Würgegriff der Regierung al-Sisi“, so Amr Magdi, Researcher in der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch.

Im 761-seitigen World Report 2021, der 31. Ausgabe, prüft Human Rights Watch die Menschenrechtslage in über 100 Ländern. In seinem einleitenden Essay argumentiert Exekutivdirektor Kenneth Roth, dass die neue US-Regierung die Achtung der Menschenrechte so in ihrer Innen- und Außenpolitik verankern sollte, dass sie künftige Administrationen überleben wird, die sich möglicherweise weniger dafür einsetzen. Roth betont, dass selbst als die Biden-Administration den Schutz der Menschenrechte größtenteils aufgegeben hat, andere Regierungen vorgetreten sind, um sich für sie einzusetzen. Die Biden-Administration sollte versuchen, sich diesen neuen kollektiven Bemühungen anzuschließen, anstatt sie zu verdrängen.

Die Nationale Sicherheitsbehörde des Innenministeriums (NSA) und andere Sicherheitskräfte sind für die Verschleppung, willkürliche Inhaftierung und Folter von Gefangenen verantwortlich, darunter auch Kinder. Viele Verhaftungen erfolgten auf der Grundlage gegenstandsloser Vorwürfe wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung” und „Verbreitung von Falschinformationen”. Angehörige im Ausland lebender Dissidenten wurden Kollektivstrafen unterworfen, etwa Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Im September und Oktober verhafteten die Behörden mehr als 1.000 Demonstranten, Dissidenten sowie Unbeteiligte, als es landesweit zu kleinen aber weit verbreiteten Protesten kam.

Die ägyptische #MeToo-Bewegung erhielt im Juni Auftrieb, als Opfer und Überlebende von sexualisierter Gewalt ihre Erfahrungen im Internet veröffentlichten. Die Behörden reagierten mit weitreichenden Festnahmen und Anklagen gegen weibliche Social-Media-Influencer unter Missachtung der Rechte auf Schutz der Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und Nichtdiskriminierung. Im August verhaftete die NSA vier Personen, die im Jahr 2014 in einem vielbeachteten Prozess um eine Gruppenvergewaltigung als Zeugen aufgetreten waren, sowie zwei ihrer Bekannten. Sie wurden der „Anstiftung zu Ausschweifungen“ beschuldigt, obwohl man sie zur Aussage ermutigt hatte.

Der Einsatz der Todesstrafe durch die Behörden war weiterhin verbreitet. Mindestens 83 Personen wurden hingerichtet, darunter 25 Verurteilte, die in unfairen Sammelprozessen wegen mutmaßlicher Verwicklung in politische Gewalt angeklagt wurden.

In der krisengeschüttelten Region Nord-Sinai zerstörte die ägyptische Armee Tausende Wohnhäuser und vertrieb deren Bewohner ohne angemessene Entschädigungen oder juristische Beschwerdemöglichkeiten. Journalisten und unabhängigen Beobachtern wurde der Zugang verweigert.

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