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Eine Pflegekraft hält die Hände eines COVID-19-Patienten auf der Intensivstation des Casal Palocco Krankenhauses in Rom, 20. Oktober 2020. ©2020 Cecilia Fabiano/LaPresse via AP

(Brüssel) – Die Covid-19-Pandemie hat weitreichende Auswirkungen auf die Menschenrechte in der gesamten Europäischen Union, so Human Rights Watch im heute veröffentlichten World Report 2021.  
 
Die Pandemie und die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns haben Diskriminierung und Ausgrenzung verstärkt. Teilweise nutzten Regierungen die Pandemie als Vorwand, um ihre Macht zu konsolidieren, menschenrechtsfeindliche Politik voranzutreiben, Freiheiten einzuschränken und schutzbedürftige Gruppen wie Migranten, Frauen oder die LGBT Community ins Visier zu nehmen. Die EU ergriff eine Reihe von Maßnahmen, um die Menschenrechte weltweit zu fördern und zu schützen. 
 
„Es war ein schwieriges Jahr für den Schutz der Menschenrechte in der EU, da Gesundheitswesen und Wirtschaft durch Covid-19 in eine Krise gestürzt wurden und einige Mitgliedsstaaten sich zusehends in Richtung Autoritarismus bewegten“, so Benjamin Ward, stellv. Direktor der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch. „Damit 2021 ein Jahr des Aufschwungs wird, sollten die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten sich von Grundrechten leiten lassen, konsequent für demokratische Institutionen eintreten und der wachsenden Ungleichheit und den Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten und Minderheiten aktiv entgegentreten.“ 
 
Im 761-seitigen World Report 2021, der 31. Ausgabe, prüft Human Rights Watch die Menschenrechtslage in über 100 Ländern. In seinem einleitenden Essay argumentiert Exekutivdirektor Kenneth Roth, dass die neue US-Regierung die Achtung der Menschenrechte so in ihrer Innen- und Außenpolitik verankern sollte, dass sie künftige Administrationen überleben wird, die sich möglicherweise weniger dafür einsetzen. Roth betont, dass selbst als die Trump-Administration den Schutz der Menschenrechte größtenteils aufgegeben hat, andere Regierungen vorgetreten sind, um sich für sie einzusetzen. Die Biden-Administration sollte versuchen, sich diesen neuen kollektiven Bemühungen anzuschließen, anstatt sie zu verdrängen. 
 
Der Human Rights Watch-Bericht beleuchtet EU-weite Probleme in den Bereichen Migration und Asyl, Diskriminierung und Intoleranz, Armut und Ungleichheit, Rechtsstaatlichkeit sowie EU-Außenpolitik. Er enthält Länderkapitel zu FrankreichDeutschlandGriechenlandUngarnItalienPolen und Spanien sowie Nicht-EU-Staaten wie Bosnien-HerzegowinaSerbienGroßbritannien und der Kosovo
 
Die Covid-19-Pandemie, die Lockdown-Maßnahmen und die daraus resultierende wirtschaftliche Rezession trafen Geringverdiener und sozial schwache Menschen überproportional schwer. Die EU lockerte zwar ihre Regeln, um den Mitgliedsstaaten Gelder zur Eindämmung der Folgen verfügbar zu machen. Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelunsicherheit und ungleicher Zugang zu digitalem Lernen sorgten jedoch für eine Verschärfung der bestehenden Ungleichheiten. Wohnungslose Menschen und Menschen ohne menschenwürdige Unterkunft waren mit erhöhten Gesundheitsrisiken konfrontiert, insbesondere Roma und Migranten. 
 
Die EU machte begrenzte Fortschritte bei der Entwicklung von Instrumenten, mithilfe derer sie Mitgliedstaaten zur Rechenschaft ziehen kann, die die Rechtsstaatlichkeit untergraben. Der Europäische Gerichtshof fällte wichtige Urteile, die EU-Kommission veröffentlichte ihren ersten Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen 27 Mitgliedsstaaten, und im November kam es zu einer Einigung über das Prinzip, den Zugang zu EU-Mitteln mit der Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen. Ungarn und Polen zögerten die Abstimmung über den EU-Haushalt und den Corona-Hilfsfonds so lange hinaus, bis die EU-Staats- und Regierungschefs Zugeständnisse machten, die den Verknüpfungsmechanismus abschwächten und seine Umsetzung wahrscheinlich verzögern werden. Die Mitgliedstaaten erzielten keine Fortschritte bei ihrer Überprüfung der beiden Länder im Rahmen von Artikel 7, dem Vertragsmechanismus zur Reaktion auf Bedrohungen für die gemeinsamen Werte der EU. 
 
Die Behandlung von Migranten und Asylsuchenden untergrub die Glaubwürdigkeit der EU als Verteidiger der Menschenrechte. Die Europäische Kommission veröffentlichte im September ihr weitreichendes Neues Migrations- und Asyl-Paket. Dieses markierte den Endpunkt eines Jahres, welches von Grenzschließungen, Zurückweisungen (Push-Backs) und einer erhöhten Schutzbedürftigkeit von Asylsuchenden und undokumentierten Migranten geprägt war. 
 
Das Paket, welches als „Neustart“ angepriesen wurde, verfestigte die Schwerpunktsetzung beim Grenzschutz und enthielt Pläne, die Schutzmechanismen untergraben und das Ausmaß der Inhaftierungen ausweiten könnten. Innovative Vorschläge für einen menschenrechtskonformen Umgang mit Migration fehlten hingegen. 
 
Die Europäische Kommission veröffentlichte im September einen Aktionsplan gegen Rassismus und erkannte damit zum ersten Mal auf höchster Ebene an, dass es strukturellen Rassismus in der EU gibt. Intoleranz, Diskriminierung und Gewalt gegen Juden, Muslime, Roma und andere Minderheiten waren in der gesamten EU verbreitet. Die Pandemie diente als Vorwand für Angriffe auf Angehörige sozialer Gruppen, die ohnehin von Diskriminierung, Hassrede und Hassverbrechen betroffen sind. 
 
Im November verabschiedete die Kommission ihre erste Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ, während Polen und Ungarn die sogenannte „Gender-Ideologie“ angriffen und die reproduktiven Rechte, die Rechte von sexuellen Minderheiten und Gender-Minderheiten und die Bemühungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bedrohten. 
 
Bei Gewaltakten, die dem islamistischen Extremismus und Rechtsextremismus zugeordnet wurden, starben in Deutschland, Frankreich und Österreich 22 Menschen, Dutzende wurden verletzt. Angesichts von Bedenken hinsichtlich einer Stigmatisierung von Muslimen im öffentlichen Diskurs versprachen die EU-Innenminister, die Bekämpfung des Terrorismus mit der Achtung der Grundrechte und fundamentalen Freiheiten zu verbinden. 
 
In ihrer Außenpolitik stellte sich die EU an die Spitze verschiedener Initiativen, die in den Foren der Vereinten Nationen für eine Aufdeckung und Ahndung von Menschenrechtsverletzungen eintraten. Zudem war die EU ein standhafter Unterstützter des Internationalen Strafgerichtshofs und führte neue, EU-weit einheitliche Sanktionsregelungen gegen Menschenrechtsverstöße ein. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten waren wichtige humanitäre Geber und mobilisierten Hilfen für Staaten, die von Covid-19 betroffen waren. Bisweilen hatte die Union Schwierigkeiten, zeitnah und prinzipientreu auf internationale Entwicklungen zu reagieren, da einige Mitgliedsstaaten ein einstimmiges Vorgehen blockierten. 
 

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