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Bidens Herausforderung: Kurswechsel bei den Menschenrechten

Ein Junge hebt seine Faust bei einer Demonstration in Atlanta, USA, 31. Mai 2020.

© 2020 Elijah Nouvelage/Getty Images

Nach vier Jahren mit einem US-Präsident, der den Menschenrechten gleichgültig bis feindselig gegenüberstand, bietet der Sieg von Joe Biden bei den US-Präsidentschaftswahlen vergangenen November die Gelegenheit für einen grundlegenden Kurswechsel.

Donald Trump war eine Katastrophe für die Menschenrechte. Im Inland setzte er sich über die rechtliche Verpflichtung hinweg, Menschen, die um ihr Leben fürchten, Zuflucht zu geben. Er ließ geflüchteten Eltern ihre Kinder wegnehmen, bestärkte Rassisten, unterminierte den demokratischen Prozess und schürte Hass gegen ethnische und religiöse Minderheiten. Er verschloss die Augen vor systematischem Rassismus bei der Polizei, beseitigte gesetzliche Schutzmechanismen für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT), hob Umweltschutzbestimmungen zur Reinhaltung von Luft und Wasser auf und untergrub das Recht auf Gesundheit, insbesondere im Bereich der Sexual- und Reproduktivmedizin sowie bei älteren Menschen. Außenpolitisch hofierte er einen „freundlichen“ Autokraten nach dem anderen – zum Leidwesen ihrer leidgeplagten Bevölkerungen. Er förderte Waffenlieferungen an Länder, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren und attackierte oder verließ wichtige internationale Initiativen zum Schutz der Menschenrechte, zur Förderung der Internationalen Justiz, zur Stärkung des Gesundheitswesens und zur Bekämpfung des Klimawandels.

Diese destruktive Mixtur untergrub die Glaubwürdigkeit der US-Regierung selbst dann, wenn sie Menschenrechtsverletzungen offen kritisierte. Ihre Kritik an Venezuela, Kuba oder dem Iran klang hohl, da sie gleichzeitig Russland, Ägypten, Saudi-Arabien oder Israel lobte. Wenn sie sich im Ausland für Religionsfreiheit einsetzte, wurde dies durch die islamfeindliche Politik im Innern unterminiert. Die Trump-Regierung verhängte zwar gezielte Sanktionen und andere Strafmaßnahmen gegen die chinesische Regierung und chinesische Unternehmen wegen der Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen, doch ihre schwache Bilanz bei den Menschenrechten, die gemischten Motive hinter ihrer Kritik an Peking und Trumps Entscheidung, China zum Sündenbock für die eigenen Versäumnisse bei der Pandemiebekämpfung zu erklären, ließ diese Interventionen alles andere als prinzipientreu erscheinen und erschwerte die Zusammenarbeit mit Bündnispartnern.

Es wäre naiv, in der Biden-Präsidentschaft ein Allheilmittel zu sehen. In den vergangenen Jahrzehnten gab es jedes Mal, wenn ein neuer Präsident ins Weiße Haus einzog, heftige Kurswechsel in der US-Menschenrechtspolitik. George W. Bushs „globaler Krieg gegen den Terror“, der mit systematischer Folter und Inhaftierungen ohne Anklage in Guantanamo Bay einherging, markierte hier einen Tiefpunkt. Barack Obama lehnte wichtige Teile des Antiterrorkriegs zwar ab, doch er behielt Elemente wie unrechtmäßige Drohnenangriffe, aggressive Überwachungsmethoden sowie Waffenlieferungen an unappetitliche Autokraten nicht nur bei, sondern weitete sie noch aus. Politische Kehrtwenden, innen- wie außenpolitisch, sind zu einem festen Bestandteil des Betriebs in Washington geworden.

Staatschefs in aller Welt, die sich für die Achtung der Menschenrechte einsetzen, fragen sich berechtigterweise, ob sie sich noch auf die US-Regierung verlassen können. Selbst wenn Biden die Bilanz der USA deutlich verbessern sollte, gäbe es angesichts der tiefen politischen Spaltung in den USA wenig, was verhindern könnte, dass in vier oder acht Jahren ein US-Präsident gewählt wird, der die Menschenrechte ebenso geringschätzt wie Trump.

Dieser Sachverhalt sollte jedoch eher Grund zur Entschlossenheit sein als zur Mutlosigkeit. Denn nachdem die Trump-Regierung die Verteidigung der Menschenrechte im Ausland weitestgehend aufgab, traten andere Regierungen auf den Plan. Statt zu kapitulieren, stärkten sie das Bollwerk. So konnten sich immer wieder breite Koalitionen formieren und schützend vor das globale Menschenrechtsgefüge stellen, selbst wenn mächtige Akteure wie China, Russland und Ägypten versuchten, es anzugreifen. Zu diesen Koalitionen gehörten nicht nur eine Reihe westlicher Länder, sondern auch eine Gruppe lateinamerikanischer Demokratien sowie eine wachsende Zahl von Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.

Nach Bidens Amtsantritt sollte die US-Regierung versuchen, diese kollektiven Bemühungen nicht zu ersetzen, sondern sich ihnen anzuschließen. Eine Führungsrolle der USA kann wichtig sein, sie sollte jedoch das von vielen anderen Staaten gezeigte Engagement weder ersetzen noch gefährden. Die vergangenen vier Jahre haben gezeigt, dass Washington ein wichtiges, aber kein unverzichtbares Mitglied der Gruppe der Menschenrechtsverteidiger ist. Bidens außenpolitisches Ziel sollte es daher sein, weder aus der ersten, noch aus letzten Reihe zu führen, sondern im Verbund mit der größeren Gruppe der Menschenrechtsverteidiger zu agieren.

Zum Wohle der Menschen in den USA und zur effektiven Förderung der Menschenrechte in der ganzen Welt sollte Biden zunächst ein positives Beispiel setzen, indem er das Engagement der US-Regierung für die Menschenrechte im eigenen Land stärkt. Ähnlich wie in der US-Außenpolitik schwankt dieses Engagement von Regierung zu Regierung heftig. Am ausgeprägtesten waren die Kurswechsel bei den LGBT-Rechten, den reproduktiven Rechten, den Rechten von Asylbewerbern und Einwanderern, dem US-Wahlrecht, der ethnischen und wirtschaftlichen Ungleichheit, dem Recht auf Gesundheit und den vom Klimawandel betroffenen Rechten. Biden steht nun nicht nur vor der Aufgabe, den Schaden zu beheben, den sein Vorgänger bei den Menschenrechten angerichtet hat, sondern es für zukünftige Präsidenten auch schwerer zu machen, den Menschenrechten den Rücken zu kehren.

Ein Schritt dahin wäre gemacht, wenn die Regierung sich durch neue Gesetze an Menschenrechte bindet, was durch die knappen Mehrheiten der Demokraten in beiden Kongresskammern möglich ist. Idealerweise würde Biden die Ratifizierung wichtiger, lange vernachlässigter Menschenrechtsabkommen vorantreiben. Doch die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Senat zu finden, wird schwierig. Biden sollte zulassen, dass die Justiz in Bezug auf Trump ihren Lauf nimmt, um zu zeigen, dass der Präsident nicht über dem Gesetz steht. Er sollte dem Prinzip „Blick nach vorn, nicht zurück“ widerstehen, das Obama anwandte, um Folter unter Bush zu ignorieren. Wie schon seine Vorgänger kann Biden Exekutivvollmachten nutzen, um kurzfristige Verbesserungen zu erreichen, doch solche Fortschritte sind anfällig dafür, von weniger menschenrechtstreuen US-Präsidenten rückgängig gemacht zu werden.

Letzten Endes sollte es Bidens Ziel sein, das Narrativ auf dem Gebiet der Menschenrechte grundlegend zu verändern – sowohl innen- als auch außenpolitisch. Denn eine bloße Rückkehr zur Politik Obamas, eine sogenannte „dritte Obama-Amtszeit“, wird nicht ausreichen. Die Massenproteste gegen Rassismus, zu denen es 2020 landesweit kam, und die schweren Belastungen durch die Covid-19-Pandemie, könnten einer solchen Neuausrichtung jedoch Auftrieb geben.

Biden könnte sich dabei von Jimmy Carter inspirieren lassen, der die Menschenrechte erstmals zu einem Bestandteil der US-Außenpolitik erklärte. Dieser Schritt, der damals als radikal wahrgenommen wurde, hat die Jahrzehnte überdauert. Jeder US-Präsident seit Carter konnte die Menschenrechte zwar vorübergehend anderen Prioritäten unterordnen – wie es übrigens auch Carter selbst tat – , doch keiner konnte sich gänzlich von ihnen lossagen.

Bidens Aufgabe wird darin bestehen, einen politischen und praktischen Ansatz zu finden, um die Menschenrechte wieder mehr ins Zentrum der Regierungsführung zu rücken und zwar in einer Weise, die auch die radikalen Kurswechsel überdauert, die mittlerweile fester Bestandteil der politischen Landschaft in den USA sind. Dazu muss Biden Überzeugungsarbeit leisten, indem er innenpolitische Probleme häufiger im Hinblick auf die Menschenrechte diskutiert, Menschenrechtsnormen zur Richtschnur seiner Außenpolitik erklärt und sich auch in schwierigen Situationen von ihnen leiten lässt.

 

Globaler Schutz der Menschenrechte

Auch wenn die US-Regierung bislang nie ein konsequenter weltweiter Verteidiger der Menschenrechte war, kann sie ein einflussreicher Unterstützer sein. Die nahezu vollständige Abkehr der Trump-Regierung von der Förderung der Menschenrechte war enttäuschend, diente aber auch als Weckruf. Glücklicherweise erkannten viele Staats- und Regierungschefs, dass der Schutz der Menschenrechte zu wichtig ist, um ihn aufzugeben, nur weil Trump dies vormacht. Eine Reihe von Regierungen, die relativ neu im Lager der Menschenrechtsverteidiger waren und meist innerhalb von Bündnissen agierten, traten immer wieder entschlossen und oft erfolgreich für den Schutz der Menschenrechte ein. Durch die große Anzahl beteiligter Staaten wurde dieses Engagement robuster, globaler und weniger abhängig von Washington.

Beispielhaft für diesen Trend ist Lateinamerika. Traditionell war es dort unüblich, dass Regierungen sich gegenseitig wegen ihrer Menschenrechtsbilanz kritisierten – auch deshalb, weil dies als etwas angesehen wurde, was Washington tat. Doch um den Kreislauf von Unterdrückung, Korruption und wirtschaftlichen Niedergang unter Nicolás Maduro in Venezuela zu durchbrechen, schlossen sich 2017 elf lateinamerikanische Demokratien und Kanada zur sogenannten Lima-Gruppe zusammen. Dieser Schritt war beispiellos. Maduro hätte wohl nichts lieber gesehen, als wenn Trump als Hauptkritiker aufgetreten wäre. So hätte er die Kritik an seiner Misswirtschaft als „Yankee-Imperialismus“ abtun können. Doch die Lima-Gruppe handelte unabhängig von den USA, und konnte so deutlich machen, dass es ihr ums Prinzip ging, nicht um politische Ansichten.

Die Lima-Gruppe erhöhte den Druck auf Maduro und überzeugte den UN-Menschenrechtsrat, eine offizielle Untersuchung seiner Repression einzuleiten. Sechs Mitglieder des Bündnisses forderten die Anklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs auf, die mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela zu untersuchen. Dies war die erste derartige Anfrage durch ein Nachbarland. Maduro konnte seine repressive Herrschaft zwar fortsetzen, doch er ist heute weitaus stärker isoliert, als er es gewesen wäre, wenn die US-Regierung ihre traditionelle, weitgehend unilaterale Menschenrechtspolitik gegenüber Venezuela beibehalten hätte. Einige Mitglieder der Lima-Gruppe haben ihren Fokus nun auch auf Nicaragua ausgeweitet. Sie konnten den UN-Menschenrechtsrat überzeugen, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte mit der Untersuchung der Repression unter Daniel Ortega zu beauftragen.

Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für eine breite Koalition im Dienste der Menschenrechte gab es bei der Organisation Islamischer Staaten (OIC), einer Gruppe von 56 Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. In der Vergangenheit hatte die OIC das Forum der UN nur selten dazu genutzt, um Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen, es sei denn sie wurden durch Israel verübt. Dies änderte sich, nachdem Myanmar im Jahr 2017 eine Militärkampagne gegen die Rohingya-Muslime im Rakhaing-Staat durchführte, die mit Morden, Vergewaltigungen und Brandschatzungen einher ging und 730.000 Rohingya zur Flucht ins benachbarte Bangladesch zwang.

2018 schloss sich die OIC einer Initiative der Europäischen Union beim UN-Menschenrechtsrat an, die einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Myanmar forderte, um Beweise für eine mögliche Strafverfolgung der Verantwortlichen zu sammeln. Im Jahr 2019 reichte der OIC-Mitgliedstaat Gambia beim Internationalen Gerichtshof eine Klage gegen Myanmar ein. Darin wurden dem Land Verstöße gegen die Völkermordkonvention im Zuge des Vorgehens gegen die Rohingya vorgeworfen. Gambias Beschwerde war die erste durch einen Drittstaat erhobene Anklage dieser Art. Als vorläufige Maßnahme wies das Gericht die Regierung Myanmars an, die 600.000 im Rakhaing-Staat befindlichen Rohingya vor Völkermord zu schützen. Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt zudem gegen myanmarische Beamte wegen Gräueltaten an den Rohingya im Zuge ihrer Deportation nach Bangladesch.

Das weltweite Engagement für die Menschenrechte fand mitunter auch abseits der internationalen Institutionen statt. Die Aktion, die womöglich die meisten Menschenleben rettete, betraf die nordwestliche syrische Provinz Idlib, wo drei Millionen Zivilisten, die Hälfte von ihnen Vertriebene aus anderen Teilen Syriens, unter den wiederholten Luftangriffen syrischer und russischer Flugzeuge litten. Dabei wurden oft gezielt Krankenhäuser, Schulen, Märkte und Wohngebiete bombardiert. Daraufhin übten die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und der Türkei (letztere trotz zunehmender Repression im Innern unter Präsident Recep Tayyip Erdogan) ausreichend Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus, um einen Waffenstillstand zu erwirken. Dieser setzte den Angriffen ab März 2020 ein Ende und wurde den Rest des Jahres überwiegend eingehalten.

Nachdem die Regierungen Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen eine Befassung des Internationalen Strafgerichtshofs mit den Gräueltaten in Syrien eingelegt hatten, traten andere Regierungen auf den Plan, um die entstandene Lücke zu füllen. Unter Umgehung des Sicherheitsrats erreichten Liechtenstein und Katar im Dezember 2016 in der UN-Generalversammlung die Einrichtung eines internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus für Syrien. Dieser soll Beweise für Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten sammeln und verfolgen. Er ist der erste Mechanismus dieser Art. Mehrere europäische Regierungen – vor allem Deutschland – haben auf der Grundlage des Prinzips der universellen Gerichtsbarkeit Ermittlungen und Strafverfahren vor nationalen Gerichten eingeleitet. Die Niederlande leiteten Maßnahmen gegen die systematische Folter durch die syrische Regierung ein, welche ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof nach sich ziehen könnten.

Europäische Regierungen übernahmen auch bei anderen Initiativen die Führung. Während die zunehmend autoritären Regierungen Ungarns und Polens die für eine Demokratie unerlässliche Kontrolle der Exekutivgewalt weiter untergruben, drängte die Europäische Union darauf, die großzügigen Subventionszahlungen an diese Staaten von der Achtung der Rechtsstaatlichkeit abhängig zu machen. Ein zum Jahresende getroffener Kompromiss ließ dieses Instrument jedoch weniger wirksam ausfallen als erhofft. Als der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko die äußerst fragwürdige Behauptung aufstellte, er habe die Wahlen im August 2020 gewonnen, und seine Sicherheitskräfte Demonstranten verhafteten und folterten, verhängte die EU gezielte Sanktionen gegen 88 Personen, die sie für die Unterdrückung verantwortlich machte, darunter auch Lukaschenko selbst. Dem Beispiel der USA folgend verabschiedete die EU ein neues Regime gezielter Sanktionen, welches Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten für Personen und Organisationen vorsieht, die für schwere Menschenrechtsverletzungen weltweit verantwortlich sind. Großbritannien und Kanada führten ähnliche Regelungen ein; Australien könnte bald folgen.

Im UN-Menschenrechtsrat erreichte eine Gruppe um die Niederlande, Belgien, Kanada, Irland und Luxemburg, dass die Kriegsverbrechen im Jemen untersucht werden. Finnland stellte sich an die Spitze einer ähnlichen Initiative zu den Kriegsverbrechen in Libyen. Island thematisierte die Tausenden außergerichtlichen Hinrichtungen mutmaßlicher Drogenkonsumenten auf den Philippinen auf Geheiß von Präsident Rodrigo Duterte. Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Australien und die Niederlande erwirkten eine Untersuchung der Unterdrückung in Eritrea. Australien und Dänemark koordinierten die Verabschiedung verurteilender Erklärungen zu Saudi-Arabien.

Als US-Präsident Trump die sogenannte Global Gag Rule wieder einführte und anschließend dramatisch ausweitete, starteten die Niederlande, Belgien, Dänemark und Schweden unter dem Namen SheDecides eine globale Initiative zur Verteidigung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte. Die Global Gag Rule ist eine US-Richtlinie, die es ausländischen Empfängern von US-Hilfe verbietet, in ihrem Land Informationen, Vermittlungen oder Dienstleistungen für legale Abtreibungen anzubieten bzw. für legale Abtreibungen einzutreten. Zahlreiche afrikanische Regierungen forderten, angeführt von Südafrika, eine Untersuchung von systemischem Rassismus und Polizeigewalt auf der ganzen Welt. Sie schmiedeten ein interregionales Bündnis, um nach der Ermordung von George Floyd durch die Polizei von Minneapolis im Mai 2020 einen Gegenpol zur US-Regierung zu bilden. Costa Rica, die Schweiz und Deutschland initiierten gemeinsame Erklärungen gegen Trumps Bemühungen, die Unabhängigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu untergraben. Belgien gewann zahlreiche Mitglieder des UN-Sicherheitsrats für eine ähnliche Erklärung. Verschiedenste Staaten – insbesondere Indien und Südafrika – setzten sich für einen verbesserten Zugang zu Impfstoffen und Therapien gegen Covid-19 ein.

Die globalen Bemühungen zum Schutz der Menschenrechte behielten nicht immer die Oberhand. Doch ihr breiter Rückhalt erhöhte den Druck auf Machthaber, die sich über die Rechte ihrer Bevölkerung hinwegsetzten. Dieser steigende Druck bildet ein wichtiges Bollwerk gegen die autokratischen Tendenzen unserer Zeit.

Das Engagement verschiedener Regierungen wurde unterstützt durch eine Welle der öffentlichen Unterstützung für die Menschenrechte. In einem Land nach dem anderen gingen die Menschen, oft trotz großer Risiken, in großer Zahl auf die Straße, um von ihren repressiven und korrupten Regierungen mehr Demokratie und Verantwortlichkeit einzufordern. Trotz unterschiedlicher Ursachen hatten ihre Bestrebungen bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. In Ägypten waren der Auslöser Social-Media-Posts eines Vertragsunternehmers des Militärs, der empörende Korruption beschrieb. Die von Studenten angeführten Proteste in Thailand brachen aus, weil die vom Militär gestützte Regierung sich der Forderung nach demokratischen Reformen verweigerte. In Belarus waren die – häufig von Frauen angeführten – Demonstrationen eine Reaktion auf den mutmaßlichen Wahlbetrug durch Präsident Lukaschenko und auf das brutale Vorgehen seiner Sicherheitskräfte gegen Demonstranten. In Polen wandten sich die Proteste gegen die faktische Abschaffung des Zugangs zu Abtreibungen durch ein Urteil des Verfassungsgerichts, dessen Besetzung zuvor von der regierenden Partei für Recht und Gerechtigkeit verändert worden war.

Überall in den USA gingen Menschen auf die Straße, um ein Ende von Polizeigewalt und strukturellem Rassismus zu fordern. In Russland kam es zu Protesten gegen Verfassungsreformen, die den Schutz der Menschenrechte schwächten und Putin eine Verlängerung seiner Amtszeit ermöglichten. Im äußersten Osten Russlands kam es zu langwierigen Protesten, nachdem der Kreml einen populären Gouverneur abgesetzt hatte. In Hongkong richteten sich die Proteste gegen die Drohung Pekings, Auslieferungen nach Festlandchina ohne legislative oder öffentliche Kontrolle zu erlauben. Die Demonstrationen waren für Präsident Xi Jinping nicht hinnehmbar, da sie zeigten, wie Menschen, die sich auf chinesischem Staatsgebiet befanden und ihre Meinung frei äußern durften, die Diktatur der Kommunistischen Partei ablehnten. Das Engagement dieser Massenbewegungen, die zu dem wachsenden Feld der staatlichen Akteure hinzutraten, gab dem weltweiten Schutz der Menschenrechte enormen Rückhalt.

 

Wachsende Unterdrückung in China 

Der mächtigste Adressat dieser zunehmend globalen Verteidigung der Menschenrechte war China. Dort nahm die Unterdrückung in den vergangenen Jahren unter Xi Jinping stark zu. In Xinjiang inhaftierten die Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere turkstämmige Muslime, um sie zur Aufgabe ihres islamischen Glaubens und ihrer Kultur zu drängen. Hongkongs Freiheiten wurden stark eingeschränkt und die Repression in Tibet und in der Inneren Mongolei dauerte an. Im ganzen Land wurden unabhängige Stimmen unterdrückt. Dies markierte die dunkelste Zeit für die Menschenrechte in China seit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989. 

Aus Angst vor Vergeltung vermeiden viele Regierungen es seit geraumer Zeit, Peking zu kritisieren. Australien wurde 2020 von solchen Vergeltungsmaßnahmen getroffen. Nachdem Canberra eine unabhängige Untersuchung des Ursprungs der Covid-19-Pandemie gefordert hatte, verhängte die chinesische Regierung Strafzölle auf verschiedene australische Exporte. Peking fürchtete offenbar, eine Untersuchung könne ihre anfängliche Leugnung der Mensch-zu-Mensch-Übertragung von Covid-19 in den Fokus rücken. Die chinesische Regierung hatte diesen Übertragungsweg in den drei Wochen von Dezember 2019 bis Januar 2020 geleugnet, während Millionen Menschen aus Wuhan flohen oder durch Wuhan reisten – durchschnittlich 3.500 pro Tag in Richtung Ausland – und sich das Virus weltweit ausbreitete. Der Lockdown in Wuhan begann jedoch erst am 23. Januar.  

Im Jahr 2016 hatten die USA erstmals eine gemeinsame Erklärung mit Regierungen organisiert, die bereit waren, China zu kritisieren. Damals schlossen sich jedoch nur 11 andere Staaten an. Als die USA sich 2018 aus dem UN-Menschenrechtsrat zurückzogen, glaubten viele, Washington werde auch seine Kritik an Chinas Unterdrückung beenden. Doch die Kritik wurde lauter. In den letzten zwei Jahren übten verschiedene Regierungen – aus der Sicherheit der Gruppe heraus – zunehmend selbstbewusst Kritik an Pekings Repression und bewiesen, dass auch Peking nicht in der Lage ist, die ganze Welt auf einmal abzustrafen.  

Der erste Schritt erfolgte 2019 im Menschenrechtsrat, als 25 Regierungen zusammenfanden, um die außergewöhnliche Unterdrückung in Xinjiang zu verurteilen. Die Angst vor Peking war dennoch spürbar, denn entgegen der Tradition, gemeinsame Erklärungen laut vor dem Rat zu verlesen, war keiner der 25 Staaten dazu bereit.  

Seither nahm die britische Regierung die Verantwortung auf sich, ähnlich verurteilende Erklärungen vor dem Menschenrechtsrat und in der Generalversammlung zu verlesen. Zuletzt übernahm Deutschland Oktober 2020 eine Führungsrolle, als es in der Generalversammlung eine Stellungnahme zur Unterdrückung in Xinjiang koordinierte, der sich 39 Länder anschlossen. Die Türkei veröffentlichte parallel dazu eine ähnliche Erklärung.  

Nach jeder Erklärung, die Chinas Repression anprangerte, organisierte die chinesische Regierung eine gemeinsame Gegen-Erklärung mit Staaten, die bereit waren, ihr Verhalten zu loben. Diese wurden üblicherweise von einigen der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der Welt unterzeichnet und erhielten – dank wirtschaftlicher Einflussnahme – eine große Zahl an Unterschriften. Dennoch wurde die jüngste, von Kuba eingebrachte Erklärung zur Belobigung der chinesischen Regierung im Oktober 2020 nur von 45 Staaten unterzeichnet. Im Vorjahr waren es noch 54 gewesen. Diese Veränderung, die sich einem Gleichstand zwischen unterstützender und verurteilender Erklärung annähert, legt nahe, dass schon bald der Tag kommen wird, an dem UN-Organe formelle Beschlüsse verabschieden können, die zumindest Teilaspekte der Unterdrückung in China kritisieren. 

In den letzten beiden Jahren tendierten OIC und Regierungen muslimisch geprägter Staaten meist dazu, China zu unterstützen. Doch im Oktober begann sich auch dies zu ändern. Die Anzahl der OIC-Mitgliedstaaten, die Chinas Repressionen in Xinjiang unterstützte, sank von 25 im Jahr 2019 auf 19 im Jahr 2020. Die verbleibenden 37 OIC-Mitglieder lehnten es ab, sich auf die Seite Chinas zu stellen. Albanien und die Türkei gingen noch einen Schritt weiter und stellten sich hinter die gemeinsame Erklärung zur Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass sich das Blatt bald wenden könnte, wenn immer mehr muslimisch geprägte Staaten an dem grausamen Vorgehen der chinesischen Behörden gegen Muslime in Xinjiang berechtigterweise Anstoß nehmen. 

Im Oktober bewarb sich China für einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat. Bei seiner letzten Bewerbung vor vier Jahren hatte das Land die meisten Stimmen aller Bewerber aus dem asiatisch-pazifischen Raum erhalten. Dieses Mal erhielt China von allen Staaten aus dieser Gruppe, die einen Sitz erhielten, die wenigsten Stimmen. Nur Saudi-Arabien bekam noch weniger Stimmen und gewann keinen Sitz. 

Die wachsende internationale Bereitschaft zu Kritik an China zwang die chinesische Regierung, zu reagieren. Zum ersten Mal bezifferte Peking, wie viele Uiguren und andere turkstämmige Muslime direkt von ihren Maßnahmen in Xinjiang betroffen sind: 1,3 Millionen. Diese seien jedoch nicht inhaftiert, sondern befänden sich in „beruflichen Fortbildungszentren“; viele hätten „einen Abschluss gemacht“. Diese Anspielung auf Haftentlassungen ist mit Vorsicht zu genießen, da die Anzahl der weiterhin Inhaftierten nicht unabhängig verifiziert werden kann und es zunehmend Indizien gibt, dass viele der Entlassenen Zwangsarbeit leisten müssen. Die wachsenden globalen Initiativen gegen diese Art der Zwangsarbeit in den Lieferketten in Xinjiang und anderen Regionen Chinas könnten eine zusätzlichen Quelle des Drucks auf Peking bilden und dazu beitragen, die Verfolgung von Muslimen zu stoppen.  

Bei all diesen Initiativen fiel auf, wie sehr die US-Regierung am Rand stand. Oft war die Trump-Regierung völlig unbeteiligt. Wenn sie einmal Kritik übte, etwa zu China, fehlte ihr die Glaubwürdigkeit, da Trump gleichzeitig eine Vielzahl von Autokraten hofierte und nur sehr selektiv Besorgnis äußerte. 

Die letzten Jahren haben gezeigt, dass andere Regierungen auch ohne Washington sehr viel bewegen können. Auch wenn die USA künftig von einer Regierung geführt werden, die den Menschenrechten weitaus positiver gegenübersteht, sollte der kollektive Ansatz beim Schutz der Menschenrechte erhalten bleiben. Denn selbst wenn es Biden gelingt, die Kurswechsel und Dopplestandards zu überwinden, welche die US-Außenpolitik allzu häufig plagen, wird die Verteidigung der Menschenrechte stärker sein, wenn sie von einem breiten Spektrum von Regierungen vorangetrieben wird.

 

Lehren für Biden  

Biden wird nicht verhindern können, dass die nächste US-Regierung in vier oder acht Jahren bei den Menschenrechten die Uhr zurückdreht, doch er kann Maßnahmen ergreifen, damit Rückschritte in Zukunft schwieriger werden. Damit könnte die US-Regierung ein verlässlicheres Mitglied des globalen Menschenrechtssystems werden.  

Je stärker eine menschenrechtsbasierte Politik in Gesetzen verankert wird – durch eine Mehrheit der Demokraten im Kongress wäre das möglich – desto schwieriger ist es natürlich, sie rückgängig zu machen. Ohne Zweidrittelmehrheit im Senat bleibt die Wahrscheinlichkeit gering, dass die USA sich dem Rest der Welt anschließen werden und wichtige, seit langem vernachlässigte Menschenrechtsabkommen ratifizieren. Um die Schäden aus den Trump-Jahren zu beheben, wird Biden vor allem auf Exekutivverordnungen und Präsidialrichtlinien zurückgreifen müssen. Solche Schritte wären prinzipiell reversibel, doch sie könnten in einer Weise umgesetzt werden, die eine vollständige Kehrtwende durch den nächsten Präsidenten erschwert. 

Damit die Rückbesinnung auf die Menschenrechte von Dauer ist, muss Biden neu umreißen, was man in den USA unter den Menschenrechten versteht. Wie bereits angemerkt gelang Jimmy Carter eine solche Neuausrichtung, als er die Menschenrechte zum Bestandteil der US-Außenpolitik erklärte. Viele von Carters Nachfolgern teilten sein Bekenntnis zu den Menschenrechten zwar nicht, doch keiner beendete es offiziell, denn Carter hatte bei der amerikanischen Öffentlichkeit den richtigen Ton getroffen und eine weltweit populäre Forderung erfüllt. So kam es auch, dass Ronald Reagan zwar mit Carters Politik in Zentralamerika und anderen Teilen der Welt brach, aber dennoch die Menschenrechtsberichtserstattung im Außenministerium institutionell verankerte und einen wichtigen Beitrag zum demokratischen Wandel in Chile und im sowjetischen Block leistete. Biden sollte eine ähnliche konzeptionelle Neuausrichtung anstreben, wie sie Carter gelang. 

Die Zeit dafür ist reif, denn die Pandemie hat die gewaltigen Unterschiede beim Zugang zum Gesundheitswesen, zu Nahrung und zu anderen Grundbedarfsgütern bloßgestellt. Gleichzeitig warf die Black Lives Matter-Bewegung ein Schlaglicht auf tief verwurzelte ethnische Ungerechtigkeiten. Da viele Menschen in den USA staatlichen Maßnahmen zur Behebung dieser Menschenrechtsverletzungen immer noch ablehnend gegenüberstehen, hat keine Regierung dies bislang versucht. Die außergewöhnlichen Ereignisse des letzten Jahres könnten nun den nötigen Ansporn zum Handeln liefern, denn sie haben deutlich gemacht, dass die Achtung der Menschenrechte im Interesse aller liegt. Die Herausforderung für Biden besteht darin, diese Gelegenheit zu nutzen, um die Achtung der Menschenrechte als zentrales Element der US-Politik, sowohl innen- als auch außenpolitisch, zu verankern. 

Eine Möglichkeit wäre es, soziale Themen häufiger als Menschenrechtsfragen zu formulieren. Traditionell hat die US-Regierung den Schwerpunkt eher bei den bürgerlichen und politischen Rechten gesetzt als bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Zur ersten Gruppe von Rechten haben die USA das wichtigste Abkommen ratifiziert. Dieses schreibt Rechte wie die freie Meinungsäußerung, das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren und das Verbot von Folter fest. Das entsprechende Abkommen zur zweiten Gruppe von Rechten, welches unter anderem die Rechte auf Gesundheit, Wohnen und Nahrung enthält, haben die USA nie ratifiziert. Die Pandemie hat jedoch gezeigt, wie stark die beiden Konzepte zusammenhängen. Werden bespielsweise Informationen über die Pandemiebekämpfung durch die Regierung zensiert, schwächt dies die Fähigkeit der Bevölkerung, einzufordern, dass Ressourcen ihrem Wohlergehen und nicht den politischen Interessen der Regierung gewidmet werden. Tatsächlich finden sich beide Kategorien von Rechten im US-Recht wieder. Biden sollte zunächst in den allgemeineren Begriffen über die Menschenrechte sprechen, mit denen die meisten Menschen vertraut sind. 

Da die Pandemie weiter wütet, wäre Bidens erklärter Plan, den Zugang zum Gesundheitswesen in den USA zu verbessern, ein naheliegender Startpunkt. Biden sollte den Zugang zu medizinischer Versorgung als Menschenrecht formulieren und deutlich machen, dass es nicht nur um die Stärkung oder Ausweitung des Affordable Care Act (auch Obamacare) geht, sondern darum, jedem Menschen das Recht zu geben, zum Arzt zu gehen, ohne dabei die eigene Familie in den finanziellen Ruin zu stürzen. Und wenn Biden sich für Bundeshilfen für Menschen einsetzt, die durch den Lockdown arbeitslos geworden sind, sollte er deutlich machen, dass jeder Mensch ein Recht auf einen menschenwürdigen Lebensstandard hat und dass die reichste Regierung der Welt es sich nicht leisten kann, Menschen hungern zu lassen, die in schweren Zeiten ihren Job verloren haben. Wenn Biden Schulschließungen anspricht, sollte er über das Recht auf Bildung sprechen – dass die Bildungschancen eines Kindes nicht davon abhängen dürfen, ob sich seine Familie einen Laptop und eine gute Internetverbindung leisten kann. Je mehr die Menschen in den USA anerkennen, dass die Menschenrechte für elementare Werte stehen, desto weniger werden künftige Präsidenten diese Rechte wie bloße politische Präferenzen behandeln können. 

Als Franklin D. Roosevelt sich in seiner berühmten Rede über die „Vier Freiheiten“ für die „Freiheit von Mangel“ aussprach und seinen New Deal lancierte, stand er vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Biden sollte den heutigen Schlüsselmoment nutzen, um Roosevelts Vision zu vertiefen und sie zu einer bleibenden Realität in den USA werden zu lassen. 

Auch auf dem Gebiet der bürgerlichen und politischen Freiheiten könnte eine stärkere Betonung ihres Rechtscharakters dazu beitragen, drastische Kurswechsel, wie sie viele Amtsübergaben begleitet haben, in Zukunft zu begrenzen. Hinsichtlich der 11 Millionen undokumentierten Migranten in den USA hat Biden den Wunsch geäußert, das Risiko von Abschiebungen zu verringern und ihnen einen Weg in die Legalität zu eröffnen. Angesichts der Tatsache, dass rund zwei drittel dieser Menschen seit mehr als einem Jahrzehnt in den USA leben – viele von ihnen mit Kindern und Ehepartnern – könnte Biden über ihr Recht sprechen, gemeinsam mit ihrer Familie zu leben, frei von der ständigen Angst vor einer Abschiebung.  

Bei den Themen der ethnischen Diskriminierung im Bildungswesen, im Wohnungssektor und im Strafjustizsystem oder beim Recht auf freie Familienplanung könnte Biden nicht nur darauf verweisen, dass diese Rechte durch US-Gesetze geschützt sind, sondern auch, dass sie in den meisten Ländern der Welt als elementare Rechte betrachtet werden. In jedem Fall sollte Biden der Kommission zu Unveräußerlichen Rechten, einer Idee von Trumps Außenminister Mike Pompeo, eine Absage erteilen. Die Kommission ist ein schlecht getarnter Versuch, einzelnen Rechten Priorität zu geben, statt sie als Gesamtheit verbindlicher Verpflichtungen zu betrachten. Dies ist Musik in den Ohren der Autokraten dieser Welt.  

Sich häufiger auf die Menschenrechte zu berufen, wird alleine nicht ausreichen. Doch es könnte die öffentliche Debatte hin zu den betroffenen Grundwerten lenken und eine Kehrtwende durch zukünftige Präsidenten erschweren.

 

Prinzipientreue in der Außenpolitik 

Ein ähnlicher Kurswechsel würde helfen, der US-Außenpolitik mehr Beständigkeit zu verleihen. Biden sollte deutlich machen, dass die Förderung der Menschenrechte weltweit ein Kernprinzip der US-Politik ist, und sich anschließend von ihnen leiten lassen. Damit eine solche Aussage Bestand hat, wird Biden sich freilich auch dann an sie halten müssen, wenn es politisch schwierig ist. 

Biden hat seine Entschlossenheit signalisiert, die globalen Bemühungen gegen den Klimawandel wieder zu unterstützen. Deshalb sollte er sein Wahlversprechen einlösen, die Treibhausgasemissionen der USA drastisch zu reduzieren, und andere Regierungen ermutigen, dasselbe zu tun. Auch bei der angekündigten Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation sollte Biden noch weiter gehen und sich dafür stark machen, den Zugang zu medizinischer Versorgung weltweit zu verbessern.  

Biden sollte die Rolle der USA im UN-Menschenrechtsrat vollständig wiederherstellen, auch wenn dieser regelmäßig Kritik an Israels unterdrückerischer und diskriminierender Behandlung der Palästinenser in den besetzten Gebieten übt oder sich mit der Menschenrechtslage in den USA befasst. Biden sollte die Zahlungen der USA an das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten und an den UN-Bevölkerungsfonds wieder aufnehmen, da diese für die Gesundheit und das Überleben unzähliger Menschen, vor allem Frauen und Kinder, sorgen. Und er sollte Trumps empörende Sanktionen gegen die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs aufheben, die einen Affront gegen die Rechtsstaatlichkeit darstellen. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob die Chefanklägerin auch solche Verbrechen strafrechtlich verfolgt, die der US-Regierung unangenehm sind, etwa US-Folter in Afghanistan (und anderswo) sowie Israels Kriegsverbrechen in den besetzten Palästinensergebieten.  

Ende des Jahres wird die Amtszeit von UN-Generalsekretär António Guterres enden. Vorher muss ein Nachfolger gewählt werden. Die Biden-Regierung sollte ihre Unterstützung für jeglichen Kandidaten – sei es Guterres, der für eine zweite Amtszeit kandidiert, oder ein anderer Bewerber – von der Zusage abhängig machen, dass der nächste Generalsekretär Guterres‘ glanzlose Bilanz der vergangenen vier Jahre auf dem Gebiet der Menschenrechte nicht wiederholen wird. Dazu gehört es, die mächtige Plattform der UN zu nutzen, um repressive Regierungen beim Namen zu nennen – was Guterres offenbar fürchtete. Der nächste Generalsekretär sollte außerdem Guterres‘ „Aufruf zum Handeln bei den Menschenrechten“ vollständig umsetzen, da dieser den Übergang vom „Aufruf“ zum „Handeln“ bisher schuldig geblieben ist. 

Biden sollte Menschenrechtsprinzipien auch zu einem bestimmenden Faktor in den US-Beziehungen zu Ländern erklären, die die Menschenrechte verletzen. Es wird erwartet, dass Biden weniger behagliche Beziehungen zu „freundlichen“ Autokraten wie Putin unterhalten wird. Darüber hinaus sollte er deutlich machen, dass die US-Regierung Militärhilfen oder (häufig subventionierte) Waffenexporte an verbündete Regierungen, welche die Menschenrechte massiv verletzen, streichen werden, sofern diese ihr Verhalten nicht verbessern. Dies gilt beispielsweise für  Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel. Er sollte die realitätsferne Idee zurückweisen, dass eine bloße „Auseinandersetzung“ mit solchen Regierungen ohne ernstzunehmende Druckmittel deren repressives Verhalten verändern kann und nicht etwa fördert. In Sri Lanka, wo viele Funktionäre, die für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, wieder an die Macht gekommen sind, sollte Biden eine Fortsetzung der UN-Berichterstattung fordern sowie konkrete Schritte in Richtung Rechenschaftspflicht. Ebenso sollte er Indiens Premierminister Narendra Modi offener für seine Billigung von Diskriminierung und Gewalt gegen Muslime kritisieren, auch wenn Indien als wichtiger Verbündeter gegen den chinesischen Einfluss gilt. 

Um den weltweiten Schutz der Menschenrechte zu stärken, plant Biden die Ausrichtung eines „Demokratiegipfels“. Dabei sollte er nicht den Fehler von Bill Clinton wiederholen, der verbündete autoritäre Regime in seine „Gemeinschaft der Demokratien“ einlud, in der Hoffnung, sie würden dadurch damokratisch. Denn dies macht solche Einladungen bedeutungslos. Ein ständiger Rat von Demokratien kann nur dann einen Anreiz zur Achtung demokratischer Normen schaffen, wenn deren Einhaltung Voraussetzung für die Aufnahme ist.  

Bidens größte außenpolitische Herausforderung wird China sein – wegen der schweren Unterdrückung im Innern und der Entschlossenheit, das globale Menschenrechtssystem auszuhölen, von dem Peking offenbar fürchtet, es könne sich gegen die eigene Repression richten. Trump hatte zunächst den Schulterschluss mit Xi Jinping gesucht und war angeblich sogar so weit gegangen, eine mögliche lebenslange Präsidentenschaft Xis zu begrüßen und die Inhaftierung von Uiguren und anderen turkstämmigen Muslimen gut zu heißen. Doch schließlich verärgerte Trump Xi dennoch, als er das „Chinavirus“ zum Sündenbock für das Versagen seiner Regierung machte, die Pandemie in den USA zu kontrollieren. Teile der US-Regierung unternahmen etwas gegen Pekings Unterdrückung: So verhängten USA gezielte Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen, die für die Inhaftierung von Muslimen in Xinjiang und die Einschränkung der Freiheiten in Hongkong verantwortlich waren. Trump verfolgte jedoch eher einen geschäftlichen Ansatz, als ließe sich jedes Problem dadurch lösen, dass China genügend Sojabohnen von Trumps Anhängern in Iowa kauft. Die Wahrnehmung, dass Trump die Menschenrechte für andere Ziele instrumentalisierte, und sein Unilateralismus nach dem Motto „America First“ hielten andere Regierungen davon ab, sich seinen Initiativen anzuschließen.  

Um effektiv zu sein, wird Biden einen prinzipientreuen, konsequenten und multilateralen Ansatz verfolgen müssen. Nach Jahren des Spotts aus aller Welt, den die Trump-Regierung den USA einbrachte, würde es große Teile der US-Wählerschaft sicherlich stolz machen, wenn Washington die Menschenrechte wieder mit klarer Stimme anspricht und sich damit auf der Weltbühne von konkurrierenden Mächten wie China, Russland oder Indien abgrenzt. 

Biden sollte breite Bündnisse mit Regierungen eingehen, die Pekings Unterdrückung verurteilen, auch wenn sie ihre Kritik im UN-Menschenrechtsrat vorbringen, dem sich die Trump-Regierung wegen dessen Kritik an Israel verweigert hatte. Die US-Diplomatie könnte dazu beitragen, diese Bündnisse zu erweitern und Regierungen einzubinden, die noch nicht klar Stellung bezogen haben, insbesondere im globalen Süden. Sie könnte wirtschaftlich verwundbaren Staaten zusichern, dass die US-Regierung ihnen bei chinesischen Vergeltungsmaßnahmen zur Seite stehen wird. Biden, der die Unterdrückung in Xinjiang klar verurteilt hat, sollte sich für eine unabhängige internationale Untersuchung und die Strafverfolgung der Verantwortlichen stark machen. 

Biden sollte auch den aktuell im US-Kongress debattierten Gesetzentwurf unterstützen, der Unternehmen, welche Ressourcen aus Xinjiang – bzw. aus China – beziehen, verpflichten soll, den Einsatz uigurisch-muslimischer Zwangsarbeiter in ihren Lieferketten zu unterbinden. Und er sollte andere Regierungen anhalten, dasselbe zu tun. Die Biden-Regierung sollte zudem gezielte Sanktionen gegen Unternehmen verhängen, welche die chinesische Regierung bei ihren hochgradig übergriffigen Überwachungsmaßnahmen unterstützen – und er sollte andere Akteure zu ähnlichen Sanktionen auffordern. Biden sollte ein Modell entwickeln, wie sich der Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas in den USA bekämpfen lässt, ohne Intoleranz gegenüber Chinesen zu fördern. Und – dies sei abschließend noch einmal gesagt – er muss eine prinzipientreue Menschenrechtspolitik im In- aus Ausland verfolgen, damit seine Kritik an Chinas Repression nicht als Instrument im Wettbewerb der Supermächte abgetan wird, sondern als aufrichtige Sorge um die Rechte eines Sechstels der Menschheit wahrgenommen wird. Ein Sorge, welche die USA überall dort im gleichen Maße äußern, wo Menschen verfolgt werden. 

 

Fazit 

Es wird nicht genügen, wenn Biden auf Trump antwortet, indem er die Uhr einfach vier Jahre zurückdreht, als könne eine Abkehr von Trumps Politik, die durch sie verursachten Schäden rückgängig machen. Die Welt hat sich gewandelt und auch das Engagement für die Menschenrechte muss sich verändern. Viele Regierungen, die die Menschenrechte achten, sind vorgetreten und haben Führungsarbeit geleistet, um die Lücke zu schließen, die Trumps Gleichgültigkeit und Feindseligkeit gegenüber den Menschenrechten hinterlassen hat. Die Biden-Regierung sollte sich diesem erweiterten Engagement für die Menschenrechte anschließen und nicht versuchen, es zu ersetzen.  

Unterdessen muss Biden anerkennen, dass die traditionellen politischen Kurswechsel zwischen aufeinanderfolgenden US-Regierungen unter Trump neue Ausmaße erreicht haben. Sie sind zu einer Krise für die Glaubwürdigkeit der US-Regierung und zu einer erheblichen Bedrohung für die Rechte von Menschen in den USA und in der ganzen Welt geworden. Biden sollte die Wertschätzung der US-Bevölkerung für die Menschenrechte in einen neuen Kontext setzen, um den Schutz der Menschenrechte in einer Weise zu verankern, die seine Nachfolger nur schwer umkehren können. Nur wenn Biden dies gelingt, kann die US-Regierung auf lange Sicht ein konstruktiver Partner bei der Verteidigung der Menschenrechte auf der ganzen Welt sein.