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In mehreren Städten und Gemeinden sind Bahá'í-Friedhöfe geschändet oder zerstört worden. Diese Grabsteine auf dem Bahá'í-Friedhof in der Nähe von Najafabad wurden auf einem Haufen zurückgelassen, als das gesamte Gräberfeld mit Bulldozern abgetragen wurde.  © Privat
  • Die jahrzehntelange systematische Unterdrückung der Bahá'í als Angehörige einer religiösen Minderheit im Iran kommt dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung gleich.
  • Die Behörden halten Bahá'í willkürlich fest und verhaften sie, beschlagnahmen ihre Besitztümer, schränken ihren Zugang zu Schulen und Jobs ein und verweigern ihnen sogar ein würdiges Begräbnis.
  • Die UN-Mitgliedsstaaten sollten die Strafverfolgung im eigenen Land nach dem Grundsatz der universellen Gerichtsbarkeit unterstützen und das Mandat der UN-Untersuchungsmission erneuern.

(Beirut) – Die jahrzehntelange systematische Unterdrückung der Bahá'í durch die iranischen Behörden kommt dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung gleich, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 49-seitige Bericht, „‚The Boot on My Neck‘: Iranian Authorities' Crime of Persecution Against Baha'is in Iran“ (dt. etwa: Der Stiefel in meinem Nacken: die Verfolgung von Bahá'í im Iran durch iranische Behörden) dokumentiert die systematische Verletzung der Grundrechte von Mitgliedern der Bahá'í-Gemeinde durch die iranischen Behörden, zum Beispiel durch diskriminierende Gesetze und politische Maßnahmen, die sich gegen sie richten. Human Rights Watch hat festgestellt, dass die Rechte der Bahá'í in vielfältiger Weise verletzt werden. Die Behörden halten Bahá'í willkürlich fest und verhaften sie, beschlagnahmen ihren Besitz, schränken ihre Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten ein und verweigern ihnen sogar ein würdiges Begräbnis.

„Die iranischen Behörden berauben die Bahá'í in fast allen Lebensbereichen ihrer Grundrechte, und zwar nicht aufgrund ihrer Handlungen, sondern einfach aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft“, sagte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch. „Es ist von entscheidender Bedeutung, den internationalen Druck auf den Iran zu erhöhen, um diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Ende zu setzen.“

Der Bericht stützt sich auf eine umfangreiche Dokumentation von Human Rights Watch und iranischen Menschenrechtsgruppen der Verstöße gegen die Rechte der Bahá'í im Iran. Die Researcher*innen haben staatliche Anordnungen, Gerichtsdokumente und anderweitige Kommunikation mit den Bahá'í untersucht. Die Informationen stammen aus dem Archiv der Bahá'í-Verfolgung im Iran und aus Dokumenten der Human Rights Activists News Agency. Human Rights Watch führte außerdem zwischen Mai 2022 und März 2023 Online-Interviews in persischer Sprache mit 14 Bahá'í durch, die sich sowohl im Iran als auch im Ausland befanden.

Die Bahá'í sind die größte nicht anerkannte religiöse Minderheit im Iran. Seit der Gründung ihrer Religion im 19. Jahrhundert sind sie der brutalen Repression durch den Staat ausgesetzt. Nach der Revolution von 1979 ließen die iranischen Behörden Hunderte Bahá'í hinrichten oder ließen sie gewaltsam verschwinden, darunter auch Gemeindevorsteher*innen. Tausende weitere verloren ihren Arbeitsplatz und ihre Rentenansprüche oder wurden gezwungen, ihre Häuser oder ihr Land zu verlassen.

Seit 1979 hat die Islamische Republik Iran die Unterdrückung der Bahá'í in Gesetzen und offiziellen Bestimmungen festgeschrieben, die von Sicherheitskräften und den Justizbehörden rigoros durchgesetzt werden. Die Justizbehörden berufen sich auf vage formulierte nationale Sicherheitsgesetze, um die Bahá'í als verbotene religiöse Minderheit und als Bedrohung der nationalen Sicherheit zu brandmarken. Human Rights Watch ist der Ansicht, dass diese anhaltende systematische Unterdrückung darauf abzielt, den Bahá'í vorsätzlich ihre Grundrechte zu verweigern. Dies entspricht dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung.

Das Römische Statut, der Gründungsvertrag des Internationalen Strafgerichtshofs, definiert Verfolgung als den völkerrechtswidrigen, vorsätzlichen und schwerwiegenden Entzug von Grundrechten wegen „der Identität einer Gruppe oder Gemeinschaft“, einschließlich der Religionszugehörigkeit oder der ethnischen oder nationalen Herkunft. Nach dem Völkerrecht gehören Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu den schwersten Verbrechen, die „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen werden“.

Gerichtsdokumente belegen, dass die Behörden die Bahá'í-Religion als „abweichenden Kult“ und ihre Anhänger*innen als Mitglieder einer „illegalen Gruppe“ bezeichnen. Gemäß staatlicher Vorgaben, die aus den von Human Rights Watch eingesehenen Dokumenten ersichtlich sind, werden ihnen ausdrücklich Beschäftigungs- und Bildungsmöglichkeiten sowie Rentenansprüche verweigert. Außerdem werden ihre Besitztümer beschlagnahmt.

Bahá'í, mit denen Human Rights Watch gesprochen hat, beschrieben ihre Verfolgung als eine Reihe von Verstößen gegen ihre Rechte, die mit ihrer ersten Begegnung mit dem iranischen Staat beginnen und jeden Lebensbereich betreffen, einschließlich der Bereiche Bildung, Beschäftigung und Eheschließung.

„Als ich den Iran verließ, um meine Ausbildung fortzusetzen, hatte ich nicht die Absicht auszuwandern“, sagte Negar Sabet, die 38-jährige Tochter von Mahvash Sabet Shahriari, einer bekannten Menschenrechtsaktivistin aus der Bahá'í-Gemeinde, die derzeit im Iran im Gefängnis sitzt. Sie sagte:

An der Universität im Ausland machte ich jedoch ganz andere Erfahrungen, es war, als ob man mir zum ersten Mal eine Last von meinen Schultern nimmt und der Stiefel in meinem Nacken verschwunden war … Dort [im Ausland] erlebte ich eine seltsame Freiheit, und zum ersten Mal war ich anderen Menschen gleichgestellt, und niemand ging mir aus dem Weg.

Eine Mitteilung des Obersten Revolutionären Kulturrats Irans aus dem Jahr 1991 legt die staatlichen Bestimmungen fest, mit denen die Bahá'í systematisch diskriminiert werden und ihr Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung und wirtschaftlichen Möglichkeiten eingeschränkt wird. Sie nehmen Unternehmen der Bahá'í ins Visier und beschlagnahmen das Eigentum von Hunderten von Mitgliedern, um die Gemeinde wirtschaftlich in die Knie zu zwingen.

Human Rights Watch ruft die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dazu auf, sich dafür einsetzen, dass die Verantwortlichen für die Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, etwa durch Ermittlungen und eine Strafverfolgung im eigenen Land nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit. Außerdem sollten sie das Mandat der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für die Islamische Republik Iran erneuern, die der UN-Menschenrechtsrat am 24. November 2022 eingesetzt hatte, um mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Protesten zu untersuchen, die am 16. September 2022 nach dem Tod einer 22-jährigen iranisch-kurdischen Frau im Gewahrsam der „Sittenpolizei“ des Landes begannen, insbesondere in Bezug auf Frauen und Kinder.

„Die systematische Unterdrückung der Bahá'í durch die iranische Regierung beeinträchtigt jeden ihrer Lebensbereiche und zeigt auf erschreckende Weise, welchen Formen von Diskriminierung religiöse und ethnische Minderheiten ausgesetzt sind. Kein Aspekt ihres Lebens bleibt von Ungerechtigkeit verschont“, so Page.

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