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Die Hoffnung ist groß, dass die Regierung in der Ukraine aus der Vergangenheit lernt, wie notwendige Reformen angegangen werden. Aber einiges von dem, was Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk bei seinem Berlin-Besuch in der vergangenen Woche geäußert hat, lässt zweifeln, ob die Regierung tatsächlich dazu bereit ist, zu ihren eigenen Fehlern zu stehen.

Es ging um Erkenntnisse von Human Rights Watch, dass Regierungstruppen im Kampf gegen pro-russische Rebellen im Osten des Landes willkürlich Wohngebiete mit Grad-Raketen und Streumunition beschossen haben. Jazenjuk sagte in einem Interview mit dieser Zeitung: „Keine Beweise! Keine Belege!“

Er behauptete, die Regierung habe die Vorwürfe überprüft, habe aber keinen Zugang zu den betreffenden Orten, da sie von Rebellen kontrolliert würden. Dann forderte er uns auf, uns lieber auf die Krim zu konzentrieren. Bereits im November hatte Staatspräsident Poroschenko unsere Erkenntnisse mit ähnlichen Argumenten zurückgewiesen.

Tatsächlich hat Human Rights Watch belastbare Beweise vorgelegt, dass die Ukraine nicht immer zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden hat, wie es das Kriegsrecht verlangt.

Unsere Experten haben die für die Angriffe verantwortliche Partei identifiziert, indem sie die Richtung ermittelt haben, aus der die Angriffe kamen, sowie die Truppen, die sich in Reichweite befanden. In Gesprächen mit der ukrainischen Regierung im November und Dezember haben wir darüber informiert, an welchen Tagen, zu welcher Uhrzeit und an welchen Orten die Angriffe durchgeführt wurden. Deutschland und andere Länder haben die Ukraine – und Russland – aufgefordert, ihr Fehlverhalten zu untersuchen.

Meistens haben pro-russische Kräfte, , ukrainische Truppen aus Wohngebieten heraus beschossen. Das hat die Zivilbevölkerung mehrfach unnötig gefährdet, was gegen Kriegsrecht verstößt. Allerdings haben ukrainische Truppen auch internationales Rechte verletzt, indem sie mit Waffen zurückschossen, die nicht auf spezifische militärische Ziele gerichtet werden konnten, sondern willkürlich über Wohngebieten niedergingen.

Der ukrainischen Militärstaatsanwalt hat sich darum bemüht, dies zu untersuchen, doch blieb die Untersuchung unvollständig. Bei  einem Treffen mit ihm im Dezember  in Kiew wurde klar: Sein Team sprach offensichtlich nur mit Befehlshabern der Regierung und analysierte nur Regierungsdokumente, führte aber keine Untersuchungen vor Ort durch. Doch wenigstens bei einem am 12. Juli verübten Angriff auf einen Vorort von Donezk, bei dem sechs Zivilisten starben, gilt, dass die Regierungskräfte sowohl das Einschlags- als auch das Abschussgebiet kontrollieren.

Zudem hat der Staatsanwalt unsere Befunde anscheinend missverstanden und berichtete uns, dass Regierungsaufzeichnungen zufolge keine Landminen eingesetzt wurden. Das haben wir zu keinem Zeitpunkt behauptet. Das Arsenal der Streumunition hat er jedoch nicht überprüft. Den Einsatz dieser Waffe haben wir jedoch dokumentiert.

Beamte des Verteidigungsministeriums berichteten uns von neuen Anweisungen an die ukrainischen Truppen, keine willkürlichen Angriffen mehr durchzuführen – ein positiver Schritt. Jedoch bleibt unklar, ob die Truppen keine unpräzisen Waffen mehr auf Wohngebiete richten dürfen, selbst wenn sie von pro-russischen Kräfte zuerst von dort beschossen werden. Das ist wichtig, denn die Verstöße einer Konfliktpartei gegen das Kriegsrecht legitimieren nicht die Verstöße der anderen.

Jazenjuks Vorschlag, wir sollten uns lieber auf die Krim konzentrieren, zeigt eine besorgniserregende Annahme, mit der ich sowohl in Kiew als auch in Moskau konfrontiert wurde: Jede Berichterstattung über den Konflikt sei parteiisch. Er und viele andere halten es anscheinend für unmöglich, dass irgendjemand die Maßstäbe des Kriegsrechts objektiv auf beide Seiten anlegt.

Wir haben regelmäßig über beide Konfliktparteien berichtet.. So haben wir einen umfangreichen Bericht über russische Vergehen auf der Krim sowie 23 Veröffentlichungen über Menschenrechtsverletzungen durch von Russland gestützte Rebellen in der östlichen Ukraine vorgelegt.

Statt Berichte über Rechtsbrüche seiner Truppen reflexhaft zurückzuweisen, sollte Kiew die Beweise ernst nehmen und willkürliche Angriffe beenden. Die neue Regierung präsentiert sich gegenüber ihren internationalen Unterstützern als reformistische Alternative zur korrupten und menschenrechtsfeindlichen Vergangenheit. Jeder kann dabei Fehler machen. Doch der erste Test der Reformbereitschaft liegt darin, eigene Fehler auch anzuerkennen.

Kenneth Roth ist der Exekutiv-Direktor von Human Rights Watch.

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