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Menschenrechtsorganisationen fordern Stärkung der Position der Europäischen Kommission zur Neufassung der Dual-Use-Verordnung

 

RE: Menschenrechtsorganisationen fordern Stärkung der Position der Europäischen Kommission zur Neufassung der Dual-Use-Verordnung

Sehr geehrter Herr Kommissar Hogan,

wir wenden uns mit diesem Schreiben an Sie, um die Europäische Kommission aufzufordern, ihre Kompromissposition bezüglich der Neufassung der EU-Dual-Use-Verordnung zu stärken und sie mit dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom September 2016 in Einklang zu bringen.

Die Position der Kommission sollte der Europäischen Union ermöglichen, eine Gesetzgebung zu erlassen, die „Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit bestimmten Cyber-Überwachungstechnologien verhindert“, indem sie geeignete Menschenrechtsstandards, eine obligatorische Bewertung der Auswirkungen auf die Menschenrechte im Rahmen von Prozessen zur Sorgfaltspflicht, einen funktionierenden Mechanismus für die Liste für nicht spezifizierte Güter und für die EU-Kontrollliste sowie obligatorische Transparenz- und Offenlegungskriterien für Exportgenehmigungen durch die Mitgliedstaaten beschließt.

Aufgrund der zahlreichen Belege dafür, dass digitale Überwachungstechnologien weiterhin aus der Europäischen Union an repressive Regimes auf der ganzen Welt exportiert werden, haben wir die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten wiederholt dazu aufgefordert, ihren Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen und die längst überfälligen Reformen des EU-Exportkontrollregimes vorrangig anzugehen.

Seit unseren ersten Forderungen nach einer Reform der Exportkontrollen im Jahr 2011 haben wir alarmierende Trends beobachtet, die auf ein exponentielles und ungehindertes Wachstum des Marktes für digitale Überwachungstechnologien hindeuten. Spywares, die sich in Systeme hacken und die der Überwachung dienen, werden von repressiven Regimes missbraucht, was den Schutz der Menschenrechte noch dringlicher macht. Wir beobachten auch das Aufkommen von übergriffigen, biometrischen Überwachungen und dass diese verstärkt zu unrechtmäßigen Zwecken und zur Unterdrückung von Menschen eingesetzt werden. Der Einsatz dieser Technologien führt zu Verletzungen der Rechte auf Privatsphäre, Nichtdiskriminierung, friedliche Versammlung und Vereinigung, Meinungsfreiheit und vieles weitere. Diesem Trend muss Einhalt geboten werden und ein Rechtsrahmen für den Export digitaler Überwachungsmittel, welche die Menschenrechte in große Gefahr bringen, wäre ein Mittel zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht und der Achtung der Menschenrechte.

Im Jahr 2016 schlug die Europäische Kommission ehrgeizige und notwendige Reformen des aktuellen Systems vor. Positiv hervorzuheben war hierbei die Verpflichtung, wesentliche Sicherheitstools aus der Liste zu streichen und die freie Verbreitung und Nutzung von Verschlüsselungstechnologien zu ermöglichen, die dem Schutz aller gefährdeten Nutzer, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und der Bevölkerung insgesamt dienen. Wir bedauern zutiefst, dass sich einige Mitgliedsstaaten entschieden gegen eine strengere Gesetzgebung wehren, und somit ihre Interessen über die Werte der Union stellen. Wir appellieren an die Kommission, ihren Kurs beizubehalten und mit den übrigen Institutionen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass Staaten in der gesamten Europäischen Union Exporte von Überwachungstechnologien verhindern, sollten diese eine Gefahr für die Menschenrechte darstellen.

Daher begrüßen wir Ihre Bemerkungen vom 19. Mai 2020 auf dem Globalen OECD-Forum für verantwortungsbewusstes Geschäftsgebaren, auf dem Sie die Notwendigkeit einer starken EU-Position zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen und Lieferketten sowie die Notwendigkeit solcher Initiativen zur Stärkung und Verteidigung der Menschenrechte betonten. Wir begrüßen auch den Vorschlag für den neuen Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie, der die Prioritäten entsprechend der Aktionslinie für die Nutzung von Chancen und für die Bewältigung der Herausforderungen durch neue Technologien festlegen wird. Um der Kommission zu helfen, ihre Ziele in diesem Bereich zu erreichen, möchten wir Sie dringend bitten, die Kompromissposition zu überdenken, die Anfang Mai dieses Jahres bekannt gegeben wurde. Entsprechend ihrer eigenen Ambitionen sollte die Kommission den vom Europäischen Parlament angenommenen Text und die Bestimmungen unterstützen. Wir fordern die Kommission dringend auf, Folgendes zu berücksichtigen:

Menschenrechtsstandards stärken

In den Änderungsentwürfen scheint die Kommission zur alten, bestehenden Formulierung „schwere Verstöße gegen die Menschenrechte“ als Beurteilungsmaßstab zurückzukehren. Wir sind besorgt, dass es dieser Formulierung an rechtlicher Klarheit und Ehrgeiz mangelt und dass sie weiterhin den Export menschenrechtsverletzender Technologien erlaubt.

Die Bestimmungen einer Neufassung der Verordnung sollten verschärft werden, um allen Risiken für die Menschenrechte vorzubeugen und um anzuerkennen, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen außerhalb von Situationen bewaffneter Konflikte oder anerkannter Situationen interner Repression auftreten können. Dabei sollte die Kommission die Berücksichtigung einschlägiger europäischer Menschenrechtsschutzbestimmungen fordern, wie der EU-Charta der Grundrechte ebenso wie die der vom Gerichtshof der Europäischen Union und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgearbeiteten Bestimmungen, etwa des Gutachtens in der Rechtssache Sacharow v. Russland, das Leitlinien zu den spezifischen Schutzmaßnahmen enthält, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass eine geheime Überwachung mit den Menschenrechtsvorschriften in Einklang steht (Beschränkungen der Dauer solcher Maßnahmen, die Verfahren zur Genehmigung des Abhörens sowie zur Speicherung und Vernichtung der abgefangenen Daten und die Überwachung der Abhörvorgänge). Die Kommission sollte sicherstellen, dass außerhalb der EU die gleichen Menschenrechtsstandards gelten wie innerhalb der EU.

Eine wirksame Sorgfaltspflicht etablieren

In den Änderungen, die Politico im Mai bekannt gegeben wurden, erwächst aus der Formulierung der Kommission keine Verpflichtung für Unternehmen, die tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen auf die Menschenrechte im Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit, ihren Dienstleistungen und ihren Produkten zu identifizieren, zu verhindern, zu mildern oder Rechenschaft über sie abzulegen.

Wir begrüßen die jüngste Zusage von EU-Justizkommissar Didier Reynders, eine obligatorische Sorgfaltspflicht vorzuschreiben, sowie die Studie der Kommission über Sorgfaltspflichtanforderungen, die zu dem Schluss kam, dass freiwillige Ansätze nicht ausreichen, und die verbindliche Regeln für Unternehmen empfiehlt. Wir erwarten, dass solche Anforderungen im Exportkontrollregime festgelegt und effektiv durchgesetzt werden. Angesichts der Risiken für die Menschenrechte, die mit dem Einsatz digitaler Überwachungstechnologien verbunden sind, sollte das Exportkontrollregime die exportierenden Unternehmen dazu verpflichten, als integraler Bestandteil der unternehmerischen Entscheidungsfindung und des Risikomanagements die Risiken für die Menschenrechte durch ihre Geschäftsaktivitäten zu verhindern, zu mindern und Rechenschaft über sie abzulegen.
 

Funktionierende Liste für nicht spezifizierte Güter und funktionierende EU-Kontrollliste gewährleisten

Wir haben die Institutionen bereits zuvor nachdrücklich aufgefordert, in der Neufassung der Verordnung klarzustellen, dass die Staaten verpflichtet sind, Exportgenehmigungen zu verweigern, wenn ein erhebliches Risiko besteht, dass diese Exporte zur Verletzung von Menschenrechten genutzt werden können oder wenn der rechtliche Rahmen für ihre Nutzung nicht den internationalen Menschenrechtsstandards oder -normen entspricht.

Es sollte ein Mechanismus zur Aktualisierung der EU-Kontrollliste vereinbart werden, der in transparenter Weise und nach entsprechenden Konsultationen über entsprechende Aktualisierungen entscheidet, wobei die Sachkenntnis aller Beteiligten, einschließlich der Zivilgesellschaft, und die internationalen Menschenrechtsvorschriften berücksichtigt werden. Das Verfahren zur Aufnahme einer neuen Kategorie oder eines neuen Postens in die EU-Kontrollliste sollte nicht bei den Unternehmen, sondern bei den Behörden der Mitgliedsstaaten liegen, wie dies in früheren Entwürfen vorgesehen war. Darüber hinaus sollte die Kommission alle im Rahmen der Liste für nicht spezifizierte Güter getroffenen Entscheidungen veröffentlichen, unabhängig davon, ob sie durch die Entscheidung der Mitgliedsstaaten in den Anhang aufgenommen wurden oder ob die Mitgliedsstaaten gegen die Aufnahme einer Technologieklasse „gestimmt“ haben. Die eigenständige EU-Kontrollliste ist außerordentlich wertvoll, um ein einheitliches Verständnis in der gesamten Union zu erreichen und zu verhindern, dass sich Unternehmen bewusst Gerichtsbarkeiten mit weniger strengen Exportkontrollen zur Bearbeitung ihrer Anträge aussuchen.
 

Aussagekräftige Transparenz und Berichterstattung ermöglichen

Transparenz über erteilte und verweigerte Exportgenehmigungen, einschließlich Informationen über die Art der betreffenden Ausstattung, die Produktkategorie, die Produktbeschreibung, den Wert, das Zielland und die Endverwendung bzw. den Endnutzer, ist von entscheidender Bedeutung, um Parlamente, die Zivilgesellschaft, die Industrie und die breite Öffentlichkeit - sowohl in der EU als auch in den Empfängerländern - in die Lage zu versetzen, die Auswirkungen des Handels mit Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck auf die Menschenrechte sinnvoll zu prüfen.

Die Kommission sollte die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, diese Informationen sowie die Gründe für die Erteilung oder Verweigerung von Genehmigungen im Rahmen der EU-Kontrollliste und der Liste für nicht spezifizierte Güter öffentlich bekanntzugeben. Die Berichterstattung erfolgt zwar zum Teil auf der Ebene der Mitgliedstaaten, schwankt jedoch stark beim Umfang und bei der Ausführlichkeit, so dass eine effektive Überprüfung nahezu unmöglich ist.

Wir begrüßten den Vorschlag, den die Kommission 2016 vorgelegt hat, und wir sind entschlossen, Sie bei der Erarbeitung eines starken und ehrgeizigen Regelwerks für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck zu unterstützen, das dem Engagement der EU für den Schutz der Menschenrechte und der einheitlichen Durchsetzung des Völkerrechts in der gesamten Union entspricht.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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