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(New York) – Migranten und Asylsuchende werden von serbischen Polizisten schikaniert und misshandelt, so Human Rights Watch heute.

Human Rights Watch sprach mit Migranten und Asylsuchenden, die von gewalttätigen Übergriffen, Drohungen, Beleidigungen und Erpressungen berichteten. Zudem erhalten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht den besonderen Schutz, der ihnen völkerrechtlich zusteht, und es werden Sammelabschiebungen in die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien vorgenommen. Einige Familien und unbegleitete Kinder durften sich nicht als Asylsuchende registrieren lassen und mussten bei bitterer Kälte im Freien schlafen.

„Die serbischen Behörden sind verpflichtet, Asylsuchende und Einwanderer zu schützen, insbesondere Kinder, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Die Polizei darf sie nicht erneut zu Opfern machen“, sagt Emina Ćerimović, Koenig-Fellow von Human Rights Watch. „Die Behörden sollen der Einschüchterung und Gewalt durch die Polizei unverzüglich entgegentreten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.“

Zwischen November 2014 und Januar 2015 befragte Human Rights Watch 81 Asylsuchende und Migranten, darunter 18 Kinder, an unterschiedlichen Orten in Serbien und Mazedonien. Drei Interviews wurden telefonisch geführt.

Human Rights Watch dokumentiert anhand dieser Berichte, dass serbische Polizisten die Menschenrechte von Migranten und Asylsuchenden verletzt haben, insbesondere in Subotica, einer Stadt an der Grenze zu Ungarn, und auch im Süden und Osten des Landes sowie in der Hauptstadt Belgrad.

20 Migranten und Asylsuchende, darunter sieben Kinder im Alter zwischen 13 und 17 Jahren, wurden in Subotica und Umgebung von Polizisten erpresst und misshandelt. Die meisten stammen aus Syrien und Afghanistan. Die Polizisten griffen sie entweder auf der Straße auf oder in einer behelfsmäßigen Unterkunft für Migranten im Ciglana-Ziegelwerk. Daraufhin zwangen die Beamten sie, ihnen ihr Geld und ihre Mobiltelefone auszuhändigen, beleidigten sie und drohten mit Gewalt und Abschiebung. Fünf Personen, auch Kinder, wurden von Polizisten geschlagen, getreten und gestoßen. Zwei der Befragten wurden mit Pfefferspray attackiert.

Unabhängig voneinander wurden sechs andere Migranten und Asylsuchende im Süden und Osten Serbiens sowie in Belgrad von Polizisten tätlich angegriffen und beleidigt. Die Betroffenen berichteten, dass Polizisten sie geschlagen oder geschubst haben, als ihre Fingerabdrücke genommen oder sie als Asylsuchende registriert wurden. Diejenigen, die Asylanträge stellen konnten, erhielten eine Bestätigung ihres Antrags mit der Aufforderung, sich innerhalb von 72 Stunden bei einem bestimmten Asyl-Zentrum zu melden.

Die serbische Polizei brachte acht der Befragten, darunter zwei 16-jährige Jugendliche, in Sammelabschiebungen nach Mazedonien zurück, ohne ihre individuellen Schutzansprüche adäquat zu prüfen. Ohne ein ordentliches Verfahren und ohne einen Asylantrag stellen zu können wurden die Betroffenen in einer größeren Gruppe über die Grenze gebracht. Alle acht berichteten, dass sie keine offiziellen Grenzübergänge passiert haben.

Der 16-jährige Aalem aus Afghanistan berichtete, dass die serbische Polizei ihn und drei seiner Freunde im Alter von 12, 13 und 15 Jahren im November zweimal nach Mazedonien zurückgebracht hat. Bei ihrem dritten Versuch konnten sie endlich in Serbien Asylanträge stellen. Grenzpolizisten im Süden und Osten Serbiens forderten vier Erwachsene auf, ihr Geld auszuhändigen, andernfalls würden sie nach Mazedonien zurückgeschickt. Erst als sie zustimmten, wurden die Migranten freigelassen.

Human Rights Watch sprach auch mit 13 Personen, davon zwei unbegleitete 14- und 17-jährige Minderjährige, die berichteten, dass Polizisten ihre Asylgesuche nicht annehmen wollten. Diese Vorfälle fanden auf dem Železnička-Polizeirevier in Belgrad statt, in der Aufnahmeeinrichtung Bogovađa im Süden von Belgrad und auf dem Polizeirevier in Sjenica im Süden Serbiens. Die Weigerung der Beamten versperrte den Betroffenen nicht nur den Zugang zum Asylsystem, sondern auch zu einer Unterkunft, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung.

Als Human Rights Watch die Asyleinrichtung Bogovađa im November und Dezember 2014 dreimal besuchte, lebten mehr als 20 Personen unter freiem Himmel. Einige begründeten dies damit, dass die Polizei sich weigerte, sie als Asylsuchende zu registrieren, so dass das Personal der Einrichtung sie nicht aufnehmen konnte. Andere konnten sich polizeilich registrieren lassen, wurden aber an Einrichtungen verwiesen, die so weit entfernt waren, dass sie diese nicht erreichen konnten.

Ein Polizeibeamter, der in der Einrichtung dafür zuständig ist, Asylsuchende zu registrieren, behauptete, er könnte nur 15 Personen pro Tag registrieren, sei aber manchmal mit bis zu 50 Migranten konfrontiert. Der Anmeldeprozess in dieser Phase des Verfahrens besteht lediglich daraus, ein paar Angaben in ein Formular einzutragen. Der Polizist muss keine Überprüfungen durchführen und nicht über Asylgesuche entscheiden. Der ganze Vorgang kann in wenigen Minuten abgeschlossen werden.

 

Migrants Shelter in Serbia

Diese drei Männer aus Syrien mussten sich eine improvisierte Schlafstätte bauen außerhalb des Asylzentrums in Bogovadja. Die Polizei hatte sich geweigert, sie als Asylsuchende zu registrieren. Das Asylzentrum hatte es daraufhin abgelehnt, die Männer aufzunehmen. © 2015 Emina Ćerimović/Human Rights Watch

Angaben des Polizisten zufolge werden Familien mit Kindern, schwangere Frauen und unbegleitete Kinder bei der Registrierung vorrangig behandelt. Allerdings zählten zwei Familien mit kleinen Kindern und sechs unbegleitete Kinder zu denjenigen, die im Freien campieren mussten. Alle außer einer Person durften sich nicht registrieren lassen. Ein 16-jähriger Junge aus Afghanistan konnte sich bei dem Polizisten registrieren, sollte dann aber in eine andere, 112 Kilometer entfernte Einrichtung wechseln.

Human Rights Watch hat sich mit Vertretern des Kommissariats für Flüchtlinge und Migranten der serbischen Regierung getroffen, mit dem Ombudsmann, der auch als „Schützer der Bürger“ bezeichnet wird, sowie mit Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen, dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Delegation der Europäischen Union (EU) in Serbien.

Im Unterschied dazu hat das serbische Innenministerium ein Treffen trotz mehrerer Anfragen abgelehnt und nicht auf einen Brief vom 20. Januar reagiert, in dem wir unsere Bedenken bezüglich mutmaßlicher Schikanen, Misshandlungen und illegaler Abschiebungen nach Mazedonien dargelegt haben.

Die serbischen Behörden sollen unverzüglich Untersuchungen in allen Fällen einleiten, in denen Polizisten vorgeworfen wird, die Menschenrechte von Migranten und Asylsuchenden verletzt zu haben, und diejenigen zur Verantwortung ziehen, die sich eines Vergehens schuldig gemacht haben. Die Regierung soll Polizeibeamten klare Richtlinien darüber zur Verfügung stellen, wie sie mit Asylsuchenden und Migranten umgehen sollen - nämlich respektvoll und in einer Art, die ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen gerecht wird. Sammelabschiebungen sollen grundsätzlich unterbunden werden. Darüber hinaus sollen Regierungsvertreter klarstellen, dass Polizisten bestraft werden, wenn sie Menschen schikanieren, tätlich angreifen oder erpressen.

Sowohl das serbische als auch internationales Recht verbieten Misshandlungen und die Anwendung ungerechtfertigter sowie übermäßiger Gewalt durch Polizisten und verpflichten die Behörden, Korruptions- und Erpressungsvorwürfen gegen Polizeibeamte nachzugehen.

Auch Sammelabschiebungen unbegleiteter Kinder und erwachsener Asylsuchender, ohne dass diese ein faires Verfahren erhalten haben oder einen Asylantrag stellen konnten, verletzen Serbiens Verpflichtungen gemäß serbischem und internationalem Recht. Nach der UN-Kinderrechtskonvention, die Serbien ratifiziert hat, darf die Regierung keine Sammelabschiebungen unbegleiteter Kinder durchführen, sofern ihr Asylgesuch nicht in einem fairen Verfahren geprüft wurde. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Abschiebeanordnungen oder die Ablehnung von Asylgesuchen. Darüber hinaus verbietet ihr viertes Zusatzprotokoll, das Serbien ratifiziert hat, Massenabschiebungen von Nicht-Staatsbürgern.

Die UN-Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, ihr Zusatzprotokoll aus dem Jahr 1967 sowie die serbische Verfassung verpflichten die Regierung dazu, das Recht auf Asyl und den Grundsatz des „non-refoulement“ zu respektieren. Demnach darf eine Person nicht in ein Land abgeschoben werden, in dem ihr Verfolgung droht.

Serbien ist EU-Beitrittskandidat und nimmt derzeit am Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess teil, der ein Schritt auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft ist. Sammelabschiebungen widersprechen den Richtlinien der Europäischen Union hinsichtlich der Rechte von Asylsuchenden, dem Schutz vor Zurückweisung und Verfahrensgarantien bei Abschiebungen irregulärer Migranten. Ein Bestandteil des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses ist, dass Serbien bestimmte Anforderungen hinsichtlich seines Asylsystems und der Behandlung von Migranten umsetzen soll. Entsprechend enthält der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission für das Jahr 2014 die Forderung, das serbische Asylverfahren an die EU-Standards anzupassen.

„Wenn Serbien wirklich der EU beitreten will, muss die Regierung Polizeigewalt stoppen. Zudem soll sie unverzüglich Ermittlungen in Fällen einleiten, in denen Polizisten Misshandlungen vorgeworfen werden“, so Ćerimović. „Jede Person, die einen Asylantrag stellen möchte, soll die Möglichkeit bekommen, sich registrieren zu lassen und ihren Fall vorzustellen.“

Makeshift Camps

Migranten und Aslysuchenden, darunter auch Familien mit kleinen Kindern und unbegleitete Kinder, leben in provisorischen Camps in Serbien, nahe der ungarischen Grenze.​ © 2015 Emina Ćerimović/Human Rights Watch

Bogovadja Makeshift Shelter

Migranten wurden gezwungen, in improvisierten, selbstgebauten Schlafstätten außerhalb des Asylzentrum in Bogovadja zu leben. Die Polizei hatte sich entweder geweigert, ihre Aslyanträge zu registrieren, oder sie wurden registriert, jedoch zugleich aufgefordert, zu einem anderen, weit entfernt liegenden Camp zu gehen. © 2015 Emina Ćerimović/Human Rights Watch

 

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